Was ist Naturwein?

Ist Naturwein ein fehlerhaftes Nischenprodukt von Fanatikern oder nachhaltig produzierte Handwerkskunst? Mit dieser Frage befasste sich ein interdisziplinäres Seminar am Weincampus Neustadt, um mehr Klarheit in die Definition von Naturwein zu bringen.

Die Studierenden des Weincampus Neustadt gestalten im sechsten Semester eine öffentliche interdisziplinäre Seminarreihe in den Fachrichtungen Weinbau und Oenologie.
Die Studierenden des Weincampus Neustadt gestalten im sechsten Semester eine öffentliche interdisziplinäre Seminarreihe in den Fachrichtungen Weinbau und Oenologie.Foto: Sandra Morsch
Im sechsten Semester gestalten die Studierenden des Weincampus Neustadt eine öffentliche interdisziplinäre Seminarreihe in den Fachrichtungen Weinbau und Oenologie. Die Themen der Reihe wechseln jährlich. Im Sommersemester 2015 standen Themen wie „Klimawandel - Wie sieht die Weinwelt in hundert Jahren aus“, „Aufbau eines Weinbaubetriebes“, „Weinbau in Asien“, „Ökoweinbau“, „Orange Wine“, „Wissenstransfer - Mitgestaltung - Netzwerk: höhere Produktqualität durch Ehrenamt?“, „PIWIs“ und „Naturweine“ auf dem Programm.
Als Gastreferenten des Seminars „Naturweine“ konnten Martin Kössler von der K&U Weinhandlung in Nürnberg, Surki Schrade von der Weinhandlung La Vincaillerie in Köln, Sven Leiner vom Weingut Leiner in Ilbesheim (Pfalz) und Rudolf Trossen vom Weingut Rita & Rudolf Trossen in Kinheim-Kindel an der Mosel gewonnen werden. Die lebhafte Podiumsdiskussion in der Aula des DLR Rheinpfalz wurde durch eine Verkostung ausgewählter Weine ergänzt.
Ausgangspunkt der Diskussion war die Frage: „Was ist Naturwein?“ Die Studierenden Katharina Eich, Carolin Hezel, Daniela Kaas, Tomislav Markovic, Betty Müller erklärten, dass es außer dem Weingesetz keine gesetzlichen Regelungen gibt. Dieses besagt, dass Wein per se ein Naturprodukt ist, da er aus Trauben hergestellt ist. Ein Naturprodukt, das viele Zusatzstoffe erlaube, wobei nur Schwefel und Eiweiße deklariert werden müssten – ganz im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln.


Naturwein spaltet die Weinwelt, aber es gibt „Graustufen“
Betty Müller nutzte die Einführung, um einen Einblick in die unterschiedliche Wahrnehmung des Themas in verschiedenen Ländern aufzuzeigen: „Fakt ist, Naturwein spaltet die Weinwelt, wobei die Kritiker und Gegner immer noch überwiegen. Dabei ist das häufigste Argument, dass es kaum gute Naturweine gibt, sondern alle Fehltöne aufweisen. Naturweinerzeuger werden meistens als Spinner und Fanatiker dargestellt. Die freundlichste Bezeichnung ist wahrscheinlich Rebell. Viele sind vermutlich Pragmatiker, die wissen, dass sie mit ihren Weinen Geld verdienen müssen und trotzdem Visionen haben. Das Ziel des Seminars war es nicht, die Welt in Gut und Böse aufzuteilen. Eher sollte es einen Einblick in die verschiedenen Graustufen geben, die auch beim Naturwein existieren,“ erläuterte Müller.
Für die Anwesenden war schnell klar, dass Naturwein kein eng abgegrenzter Begriff ist, sondern sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. So galt die Frage zu klären, wie jeder der Referenten den Begriff für sich definiert und was er daraus
folgert.
Rudolf Trossen ging an die Frage nach dem Wesen des Naturweins mit einem sehr emotionalen Bezug heran, denn für ihn gilt: „Naturwein ist Wein mit Gefühl. Die Menschen müssen empfindlicher werden für das Gefühl im Weinberg“. Anders sieht es Surk-ki Schrade, für die die Definition grundsätzlicher Art sein sollte: „Seit ich Alkohol trinken darf, trinke ich Wein und war immer im Glauben, vergorenen Traubensaft zu trinken. Wurde ich etwa 20 Jahre lang hinters Licht geführt? Ehrlichkeit und Transparenz? Wenn man behandeln musste, sollte man ehrlich sein und es sagen“. Ein Stück weit unterstützt das auch Martin Kössler, wenn er sagt, die „Betrachtung der Weinbergsbehandlung und Verarbeitung im Keller ist ganz wichtig“.
Der Südpfälzer Sven Leiner postuliert klar: „Naturwein hat mit Natur zu tun. Man sollte Wein erleben, mit allen Höhen und Tiefen, vom Weinberg bis zur Flasche; naturnah eben“. Mit diesen vier Ansichten stellten die Referenten den Seminarteilnehmern je einen mitgebrachten Naturwein vor und erläuterten wichtige Details zum Umgang mit Naturweinen.
Sven Leiner stellte seinen Grauburgunder „Katzebosch“ vor: Dieser wurde im Most oxidativ verarbeitet und nicht vorgeklärt, 18 Stunden auf der Presse gepresst, anschließend im Edelstahl spontan vergoren und mit 60 mg/l gesamte SO2 bei 30 mg/l freie SO2 abgefüllt. Die Studierenden zeigten Verwunderung, dass Leiner naturbelassene Weine herstellt ohne dies zu kommunizieren. Der Ilbesheimer Winzer erläuterte, dass er „generell mit der Aussage Naturwein ganz vorsichtig“ sei. Schrade stimmte zu, dass die Kommunikation über Naturwein in Deutschland schwierig sei, gerade „im Gegensatz zu Frankreich, wo die Winzer von bereits erfahrenen Winzern begleitet und beraten werden und deswegen dort auch die Umstellung von jetzt auf gleich funktioniert“. Rudolf Trossen befürwortet ein zweigleisiges Fahren, denn bei ihm im Weingut werden „Weine, die es brauchen, behandelt“.


Wie geht man mit Jahrgangsschwankungen um?
Im Laufe der Probe kam die Frage auf, wie man mit Jahrgangsschwankungen und Fehltönen bei naturbelassenen Weinen umgehen kann, woraufhin Leiner betonte, dass seiner Erfahrung nach die Traubenqualität für Naturwein ähnlich sei wie die der anderen Winzer im konventionellen Weinbau. Generell gilt laut Leiner immer, „dass man bei guter Traubenqualität auch keine Fehler im Wein bekommt“. Die sich während der Probe ergebende Diskussion zur Verbraucherakzeptanz von Weinfehlern bei naturbelassenen Weinen wurde sehr kontrovers geführt. Als Schrade eine allgemeingültige Definition von Weinfehlern forderte und deren Existenz für den Endverbraucher mit der Behauptung „Verbraucher kennen keine Fehltöne“ hinterfragte, legten Studierende aus dem Publikum Weinfehler als „aus schlechtem Handwerk entstandene Geruchs- und Geschmacksfehler“ fest.


Bei der Talkrunde gab es einen interessanten und offenen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zum Thema Naturwein oder naturbelassene Weine.
Bei der Talkrunde gab es einen interessanten und offenen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zum Thema Naturwein oder naturbelassene Weine.Foto: Sandra Morsch
Kontroverse Diskussion um Verbraucherakzeptanz
Kössler betonte, dass Weintrinken eine Art Konditionierung sei und der Mensch dabei immer am Geruch orientiert ist. Er erhoffe sich von den Naturweinen, dass „sie die Weingeschmäcker liberaler werden lassen. Aber handwerkliche Fehler, wie Brett, dürfen nicht vorkommen“. Der Weinhändler ergänzte, dass biogene Amine bei einem Wein-pH von 3,4 oder höher entstehen könnten: Diese biogenen Amine sind laut Kössler in naturbelassenen Weinen zum Teil nachweislich erhöht.“ Für Kössler ist die Auswahl der Winzer, deren Naturweine er verkaufe, sehr zeitintensiv, denn er gehe „mit den Winzern in die Weinberge, um zu merken, ob der Winzer sein Handwerk versteht und ob er nicht doch zum Beispiel Herbizid spritzt“. Der Mitinhaber der K&U Weinhalle in Nürnberg warnte, dass „der Biomarkt versucht intransparent zu werden“.
Rudolf Trossen vom Ecovin-zertifizierten Weingut Trossen stellte den 2014 Madonna Purus Riesling vor. Dieser wird, je nach Bedarf von Hand aus dem Tank in die Flasche gefüllt und mit Kronkorken verschlossen. Trossen hat 1978 das Weingut sehr jung übernommen. Er hat „von jetzt auf gleich auf jegliche konventionellen Spritzmittel im Weinbau und Behandlungsmittel im Keller verzichtet“. Für ihn ist klar, dass „die Bio-Winzer noch nicht auf den Kupfer- und Schwefeleinsatz im Weinberg verzichten können, da es noch keine geeigneten Züchtungspflanzen gibt“. Trossen produziert in seinem Weingut zwei Linien: Eine Linie wird im Keller, falls notwendig behandelt, um den Geschmack der Kunden zu treffen, zum Beispiel durch Schwefelgabe, Anreicherung, Entsäuerung oder Hefegabe. Trossen begründet die geringen Volumina von naturbelassenen Weinen in Deutschland folgendermaßen: „Der Deutsche hat Angst auf Spritzmittel oder Zusätze im Wein zu verzichten und ist verunsichert. Man muss lernen seine Sinne wieder zu aktivieren“. Kössler ist sicher, dass die Chancen für naturbelassene Weine in Ländern groß sind, in denen es keinen Weinbau gibt und ergänzt: „Frankreich hat im Vergleich zu Deutschland auch eine andere Kultur. Dort ist das Handwerk noch mehr Wert“.


Interesse an Themen wie Nachhaltigkeit und Öko
Schrade unterstützt dies und sieht Interesse an naturbelassenen Weinen vor allem bei jungen Leuten, die nach nachhaltig und biologisch produzierten Weinen fragen.
Das Cuvée 2013 „Trauben, Liebe und Zeit Weiß Nr. 6“ der Wein- und Sektmanufaktur Strohmeier (Steiermark, Österreich) stellte Martin Kössler vor. Das Cuvée aus Pinot Blanc und Chardonnay wurde bei einem pH von 3,2 maischevergoren. Im Weinberg erfolgte kein Sommerschnitt. Der Winzer spritzt nur Backpulver und Schwefel.
Der 2012er Rotwein Faugères Tradition von Clots Fantine (Frankreich) wurde von Surk-ki Schrade vorgestellt. Schrade führt in ihrem Weinhandel fast nur französische Weine, da es aus Deutschland nur wenige Naturweine gibt. Sie ist sich sicher, „mittlerweile am Geruch und Geschmack zu erkennen, wenn etwas an einem Wein gemacht wurde“. Durch ihre Verbandsarbeit bei „Association des vins naturels“, weiß Schrade, dass „die Bezeichnung Vin naturel nicht zu schützen ist, wohl aber Vinifikation naturel mit dem Zusatz Bio. Das Führen des Labels ist in Frankreich zu teuer, deshalb sind viele ohne Label“ so Schrade.
Die Bedeutung der Aufklärung über Weininhaltsstoffe und der Wunsch nach mehr Transparenz sind ihr große Anliegen. Sie beobachtet, dass sich Verbraucher zunehmend gezielt informieren.
Seminarteilnehmer Prof. Dr. Ulrich Fischer erklärte: „Zucker ist das größte Deklarationsproblem, was Verbraucherakzeptanz betrifft.“
Am Ende des zweistündigen Seminars stand zwar keine gemeinsame Definition von Naturweinen, aber die Referenten und Teilnehmer diskutierten sehr vielseitig und lobten den offenen Gedanken- und Erfahrungsaustausch, der für viele neue, klarere Blicke auf das Thema naturbelassene Weine ermöglichte.

Sandra Morsch,
DLR Rheinpfalz