Gefährdet die Digitalisierung die Weinkultur?

RHEINHESSEN

Foto: Norbert Krupp
Das 28. Weinkulturseminar der Weinbruderschaft Rheinhessen beleuchtete philosophische und praktische Aspekte der Digitalisierung. Inwiefern ist die Weinkultur davon berührt? Die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz (KI) standen im Mittelpunkt des Seminars in der Aula des DLR Oppenheim mit rund 50 Teilnehmenden.
Hans-Günther Kissinger, Organisator des Weinkulturseminars, erklärte, man lebe im Zeitalter des Anthropozän, in dem der Homo sapiens durch Gier, Maßlosigkeit und Überheblichkeit die Erde und Natur, zu der er selbst zählt, zerstöre. Die Menschheit stehe vor unumkehrbaren Kipppunkten, befürchtet Kissinger. Das Übel komme nicht von der Technik, sondern von denen, die sie missbrauchten.
Aus philosophischer Sicht beleuchtete Prof. Dr. Anton Schmitt aus Lampertheim die Chancen und Risiken der Digitalisierung. Diese stehe im weitesten Sinne in Beziehung zur Künstlichen Intelligenz. Allerdings bedeute Intelligenz Einsehen und Verstehen, was jedoch Computer und deren Programme nicht können. „Kultur ist die Kunst der Verzögerung, die Fähigkeit zum Genießen, sich Zeit zu nehmen und mit dem geistigen Auge wahrzunehmen, was wir sachlich nicht sehen“, erklärte Schmitt. So könne man alle Daten über den Wein erfassen, aber erst bei der Verkostung erlebt man wie es ist, Wein zu trinken, so Prof. Schmitt.
Digitalisierung in der Praxis
Dr. Stephan Schlitz aus Fürfeld gab Einblicke in bewährte digitale Anwendungen im landwirtschaftlichen Betrieb. Die erste digitale Anwendung im eigenen Familienbetrieb sei vor rund 20 Jahren zur Organisation von Düngung und Pflanzenschutz gewesen. Heute werde die Satellitennavigation zur Spurführung von Ackerfahrzeugen oder zur Weitergabe der Lage von Mieten zur Zuckerrübenabfuhr genutzt. Die Landwirtschaft könnte durch Drohnen revolutioniert werden, die Tag und Nacht arbeiten könnten.
Digitalisierung im Weinbaubetrieb
Das GPS-unterstützte Rebensetzen ist weitgehend Standard. „Die Hoffnung, dass Vorgänge durch die Digitalisierung automatisiert werden können, stößt oft an Grenzen“, meinte der Essenheimer Winzer Stefan Braunewell, Vorsitzender von Rheinhessenwein.
Heute leiten in vielen Weinbaubetrieben Geräte oder an den Tanks angebrachte Chips die festgestellten Werte bei der Gärkontrolle an den Computer weiter. „Wird der Wein deshalb besser? Schmecken und fühlen kann nur der Mensch“ gab Braunewell zu Bedenken. Mit dem Smartphone gebe es viele Möglichkeiten per Apps digitale Technik zu nutzen, auch bei Pressen und Pumpen. „Aber am Ende gehen wir doch an den Tank oder ans Fass, gucken, riechen und schmecken“, sagte Stefan Braunewell.
Herzblut und Leidenschaft der Winzer bleiben
Menschliche Arbeitskraft lasse sich zum Beispiel durch optische Traubensortierung ersetzen. Die Technik kann helfen, Fehltöne auszuschließen, aber es brauche doch das Herzblut des Winzers. Die Entscheidung, wie viel botrytisbefallene Trauben doch mitverarbeitet werden sollen, muss der Mensch fällen. „Die Digitalisierung kann helfen, effizienter zu arbeiten, aber sie bedeutet nicht das Ende von Herzblut und Leidenschaft der Winzer“, ist Braunewell sicher. Die wichtigen Entscheidungen bleiben beim Winzer. Die Weinkultur bleibt. Norbert Krupp