Nicht handeln ist keine Option

WÜRTTEMBERG

Durch die derzeitige Lage und tiefgreifenden Veränderungen sind viele Betriebe gezwungen, ihre Strukturen neu zu überdenken und individuelle Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Doch wie passe ich meinen Betrieb an die Herausforderungen im Weinbau an? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Tagesseminars des Weinbauverbands Württemberg (WVW) an der LVWO Weinsberg am 18. November.
Nie zu spät für Kooperatio­nen und Veränderungen
„Egal welcher Größenklasse, der Flächenrückgang wird sich durchziehen“, sagte WVW-Präsident Dietrich Rembold. Der Verband rechnet damit, dass von den derzeit 10.848 ha Rebfläche bis 2030 rund 2.000 ha verloren gehen werden. „Die Geschwindigkeit und Dramatik der aktuellen Entwicklung haben wir so nicht vorhergesehen“, gestand Rembold. Der WVW rät seinen Mitgliedern derzeit, ihr Geschäftsmodell kritisch zu überprüfen.
Dr. Dieter Blankenhorn, Direktor der LVWO, betonte, dass es nie zu spät sei, Kooperationen einzugehen, sein Sortiment zu erneuern, die Kulturlandschaft zukunftsfähig zu gestalten oder gemeinsame Marketingkonzepte zu entwickeln. Die LVWO biete ein breites Spektrum an Weiterbildungsmöglichkeiten an und unterstütze die Branche zudem durch Forschungsprojekte, etwa zu Drohnen für Pflanzenschutz, KI-Einsatz im Weinbau oder Piwis. Hinsichtlich der Zukunftssorten empfiehlt er, diese herkunftsbezogen und ohne Rebsorte zu vermarkten, „denn in den nächsten Jahren gibt es wieder neue, bessere Sorten“, so Blankenhorn.
Denkanstöße und mögliche Förderungen für den Veränderungsprozess gab Betriebsberater Heiner Rumetsch von der AgriConcept Beratungsgesellschaft. Nach einer Analyse des Betriebs, bei der man die Rentabilität, Stabilität und Liquidität prüft, sollte sich der Betrieb mit Anpassungsstrategien beschäftigen. Dabei gibt es in den Themenfeldern viele Möglichkeiten, wie Rumetsch ausführte:
Kostenführerschaft: Kostenminimierung (Arbeitszeit einsparen, Pachtpreise reduzieren?), Automatisierung bzw. Spezialisierung über Minimalschnitt, Piwis oder Zusammenschlüsse, Hürden (z.B. Mindestlohn, Flächenstruktur) beachten, Förderprogramme nutzen, Diversifizierung: neue Weinstile/Sorten, Ferienwohnungen, Wohnmobilstellplätze, Hofcafé, alkoholfreie Weine, Agri-PV, Weinwanderungen Differenzierung: von der Konkurrenz mit einem einzigartigen Angebot abheben
Exit-Strategie: Betriebsaufgabe
Hinsichtlich der Anpassungsmöglichkeiten riet er dazu, sich am Markt zu orientieren und zudem sich selbst zu hinterfragen, ob man es überhaupt leisten könne – zeitlich, finanziell und persönlich. Bei der Betriebs­aufgabe sind die persönlichen, finanziellen und steuerlichen Konsequenzen zu beachten. Da der Lebensinhalt einer ganzen Familie verloren gehe, solle man solche Entscheidungen im Familienrat treffen, verdeutlichte der Berater. Es gehe um bewusste Entscheidungen für die Zukunft, losgelöst vom alten belasteten Zustand.
Kein Standard bei der Hofübergabe
„Setzen Sie sich mit Ihrer Situa­tion auseinander und warten Sie nicht ab, bis die Situation Sie überholt“, forderte Helmut Bleher, Landesbauernverband (LBV) in Baden-Württemberg, die Teilnehmenden auf, bei der Betriebsübergabe frühzeitig zu handeln. Die Hofübergabe erfolgt immer, zu Lebzeiten sei sie aber besser zu gestalten. „Eine gerechte Regelung ist nicht immer die beste Regelung“, gab er zudem zu bedenken. Jeder Betrieb ist anders aufgestellt, daher gebe es keinen Standard in der Hofübergabe. Deshalb empfiehlt er eine Übergabeberatung, wie sie auch der LBV seinen Mitgliedern anbietet.
„Eine Hofübergabe muss steuerlich nichts kosten“, sagte Berndt Eckert von der LGL Steuerberatung, der über Fallstricke im Steuerrecht referierte. Wenn ein Betrieb nicht fortgeführt wird, empfiehlt er, darüber nachzudenken, ob eine Betriebsaufgabe sinnvoll ist. Nicht handeln sei keine Op­tion. Bei jeglichen Änderungen im Betrieb (z.B. Rodungen von Weinbergen) sollte man frühzeitig die Sozial-Versicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) informieren, da es mehrere Fallstricke gebe und es zu Änderungen bei den Versicherungsverhältnisse kommen könnte.
Diversifizierung über Tourismus
Am Nachmittag standen neue Vermarktungsmöglichkeiten für die Betriebe durch weintouristische Aktivitäten im Mittelpunkt. Svenja Hertweck von der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg stellte die Ziele und Potenziale des neuen landesweiten Weintourismuskonzepts vor. Das Thema Wein soll künftig einen deutlich höheren Stellenwert innerhalb der offiziellen touristischen Marketingorganisation des Landes erhalten. Die zen­tralen Ziele des Konzepts sind die Profilierung des „Weinsüdens“, die Umsetzung eines gemeinsamen strategischen Marketings, die Optimierung der Zusammenarbeit auf Landesebene sowie die Stärkung der Vernetzung der Akteure im Weintourismus.
Mara Braun von der LVWO Weinsberg präsentierte konkrete Einstiegsmöglichkeiten für Winzer, Weingüter und Vermarktungsorganisationen im Tourismus. Sie verwies dabei insbesondere auf das neue „Good Practice“-Tool auf der Plattform des Tourismusnetzwerks. Dieses ermöglicht es Winzern, sowohl Infos zu bereits umgesetzten Ideen bereitzustellen als auch Inspiration für eigene Projekte zu erhalten. Ziel ist es, die Vielfalt möglicher betrieblicher Diversifizierungsmaßnahmen zur Einkommenssicherung sichtbar zu machen.
Ab Januar 2026 steht Winzern zudem eine Weinsüden-­Lernplattform zur Verfügung. Das niedrigschwellige Angebot im Baukastenprinzip bietet künftig vielfältige Weiterbildungsformate, ermöglicht selbstständiges Lernen anhand von Texten und Videos und verknüpft bestehende Fortbildungsangebote. WVW/bla