Blick in die Weinbauforschung

ATW – Ausschuss für Technik im Weinbau

Foto: Bettina Siée
Die 70. Mitgliederversammlung des ATW (Ausschuss für Technik im Weinbau) fand am 24. und 25. November 2022 nach drei Jahren wieder in Präsenz statt. ATW-Vorsitzender Dr. Jürgen Dietrich begrüßte 50 Berater aus allen Anbaugebieten in Freiburg/Breisgau und moderierte die Diskussionen zu den ATW-Vorhaben.
Heißwasserbehandlung von Rebenpflanzgut
Matthias Zink, DLR Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße berichtete von Heißwasserbehandlungen bei bewurzeltem Rebenpflanzgut, um zum Beispiel Erreger der Vergilbungskrankheit auszumerzen. Knackpunkt des Verfahrens sei die phytotoxische Wirkung. Die Temperatur muss so hoch sein, dass der Erreger zerstört wird, aber die Rebe darf nicht beeinträchtigt werden. In einer Gitterbox werden 7.000 Reben 45 Minuten in 50 °C heißes Wasser getaucht. Das Triebwachstum im Jungfeld kann verzögert sein. Syrah verträgt die Prozedur besser als Riesling. Der Zeitpunkt der Heißwasserbehandlung zwei Monate vor der geplanten Pflanzung war am günstigsten. Es war nun das dritte und letzte Versuchsjahr, aber das Thema werde weiterverfolgt.
Automatisierung der Bewässerungssteuerung
An der Automatisierung der Bewässerungssteuerung arbeitet Dr. Matthias Friedel, Hochschule Geisenheim University. Im ersten Projektjahr wurden Bodenfeuchtesensoren auf Funktionalität und Laufzeit überprüft. Ein LoRaWAN Netzwerk wird für die Flächen der Staatsweingüter im Rüdesheimer Berg und auf der Domäne Assmannshausen etabliert und kann einzelne Steuersysteme auf ein hohes Autonomielevel bringen. Durch Verknüpfungen mit anderen Daten könne der Nutzen maximiert werden. Eine ortsfeste Bewässerung ist vollautonom oder teilautonom möglich, ist Friedel überzeugt.
Bio-Lignincarrier gegen Esca-Erreger
Den Einsatz von Bio-Lignincarriern gegen Esca-Erreger in der Rebenpflanzguterzeugung erforscht Dr. Ruth Walter, DLR Rheinpfalz Neustadt. Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer wirksamen Bekämpfungs­methode gegen Esca auf Basis fungizidgefüllter Micropartikel, sogenannte Biocarrier, in der Pflanzguterzeugung. Es handelt sich um Microkapseln, die mit dem natürlichen Zellwandbestandteil Lignin umhüllt sind. Das Lignin wird durch Enzyme der Schadpilze abgebaut, wodurch das enthaltene Fungizid freigesetzt wird.
Das Projekt erforscht, ob bei der Rebpflanzguterzeugung ein präventiver Langzeitschutz integriert werden kann, der zu einem späteren Zeitpunkt nur bei Bedarf aktiviert wird. Dies könnte eine langfristige Befallsvermeidung von Esca in Ertrags­anlagen ermöglichen. Die mit Lignin-Carriern inokulierte Stecklinge zeigten bisher keine Wachstumsauffälligkeiten und die Ausfallraten nach dem Vortreiben bei der Veredlung war bei allen Varianten vergleichbar. Lignin-Carrier führten zu einer deutlichen Reduktion der Erreger im Holz und vollständiger Hemmung des Pilzwachstums in veredelten Reben.
Unterstockbearbeitung mit dem System Beiser
Dominik Weber, DLR Mosel Bernkastel-Kues, befasste sich mit der Weiterentwicklung der mechanischen Unterstockbearbeitung auf Basis eines Überzeilenrahmens (System Beiser) als Komplettbewirtschaftungssystem. Das System Beiser 2 überzeuge durch sehr vielfältige Gerätekombinationsmöglichkeiten und deren gleichzeitiger Anwendbarkeit. In Zusammen­arbeit mit der Firma GPX aus den Niederlanden hat das DLR Mosel ein autonomes Gerät entwickelt.
Nahezu alle im Betrieb vorhandenen Werkzeuge, wie Roll­hacken, Langwellenbürsten, Scheiben und so weiter, können adaptiert werden. Zudem kann an beiden Seiten eine Begrünungswalze oder ein Mulcher angeflanscht werden. Nicht nur beidseitige Unterstockbearbeitung wird ermöglicht, auch Anbaugeräte wie Laubschneider können an den Überzeilenrahmen montiert werden. Das System Beiser ermögliche eine Reduzierung oder vollständigen Verzicht auf Herbizide. Weitere Versuchsfahrten in unterschiedlichen Geländen und Bodenarten sind 2023 geplant.
Laubwandbezogene Berechnung in Rebschulen
Mit der Anpassung der laubwandbezogenen Berechnung der Aufwandmenge von Pflanzenschutzmitteln für Rebschulen und Unterlagenschnittgärten mit Tischerziehung befasst sich Matthias Zink, DLR Rheinpfalz. Bislang wurde die zugelassene Aufwandmenge nach dem Entwicklungsstand der Reben, bezogen auf die Grundfläche (kg/ha oder l/ha), berechnet. Am DLR Rheinpfalz wurde in den ersten zwei Jahren des Projektes ein Spritzgestänge ohne Gebläse konzipiert und auf Rebschulen und Unterlagengärten mit Tischerziehung abgestimmt. So konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden. Dabei wurde für Rebschulen eine Bekämpfungsstrategie mit sicherer Wirksamkeit entwickelt, die dem neuen Laubwandmodell angepasst ist.
Im dritten Jahr des Projektes soll das Rebschul-Spritzgestänge weiterentwickelt werden, um Anlagerungen des Pflanzenschutzmittelbelages weiter zu optimieren und Abdrift zu mindern. Die Behandlung von Unterlagen mit dem Spritzgestänge erbrachte keine ausreichende Belagsbildung an den Blattunterseiten der Tischerziehung. Eine Applikation ohne Gebläse ist für eine optimale Behandlung dieser Erziehung nicht möglich. Eine Anpassung der Applikationstechnik ist erforderlich.
Absenkung des pH-Wertes in Most und Wein
Dr. Patrick Nickolaus, DLR Rheinpfalz, Neustadt, überprüft die Praxistauglichkeit von Kationenaustauschern zur Absenkung des pH-Wertes in Most und Wein. In der EU ist das seit 2009 zur Weinsteinstabilisierung und seit 2013 zur Säuerung zugelassen.
Versuchsergebnisse zeigen, dass Ionenaustauscher auch bei Rotwein verwendet werden könnten. Wie Nickolaus berichtete, funktioniert das Verfahren und führt zu einer höheren mikrobiologischen Stabilität. Weiterer Vorteil, die eigene Säure bleibt erhalten. Zur Verwendung bei Maische muss ein Teil des Saftes abgezogen und vorgeklärt werden, was erheblicher Mehraufwand bedeutet. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit einem Weinsäurezusatz, mit einer tendenziell etwas weniger spitzen Säurewahrnehmung beim Ionenaustauscher. Die Anwendung im Weinstadium führte zur Absenkung des pH-­Wertes ohne signifikante Änderung der sensorischen Säurewahrnehmung. Der Ionenaustauscher verursachte im Weinstadium eine Sahne-Karamell-­Note, die sich möglicherweise wieder beheben lässt. Die Rotweine waren im Versuch farb­intensiver, sensorisch nahm „grüne Paprika“ ab.
Realisierbarkeit von Mehrwegflaschen
Meike Strobach, Hochschule Geisenheim University, möchte konkrete Handlungsempfehlungen zu Flaschenrecycling und Glas-Mehrwegsystemen in der Weinbranche entwickeln. Es sollen aus dem Forschungsvorhaben Verbesserungen für bereits bestehende und konkrete Vorschläge zum Neuaufbau von Glas-Mehrwegsystemen abgeleitet werden. Zumindest soll für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Ressourcenschonung sensibilisiert und eine Diskussion angestoßen werden. Jeder weiß, dass Mehrweg nachhaltig und besser ist, aber es fehlt die Akzeptanz. Der Handel ist nicht bereit, ein Mehrwegsystem für Weinflaschen aufzubauen.
Energieeffizienz für nachhaltige Erzeugung
Magali Blank, LVWO Weinsberg, untersuchte Energieeffizienzmaßnahmen für eine nachhaltige Erzeugung von Weißweinen unter Berücksichtigung neuer Aromarückgewinnungsverfahren. Das Projekt erprobt die Aromarückgewinnungsanlage AromaLoc einer kanadischen Firma. Versuche wurden in Geisenheim und Weinsberg durchgeführt. Die Weine sollen fruchtiger und sortentypischer im Vergleich zur Kontrolle sein. Erste Ergebnisse zeigten weniger Unterschiede als erwartet. Es wurden tatsächlich höhere Aromenkonzentrationen gemessen, aber sensorisch nur selten wahrgenommen. Das Projekt wird fortgeführt. Das AromaLoc-Verfahren ist bislang weder von der OIV noch in der EU zugelassen.
Universalträger VITRAC für Kleinterrassen
Daniel Regnery, DLR Mosel, stellte das Bewirtschaftungskonzept VITRAC für Kleinterrassen in Steillagen vor. Im Vergleich zu den breiten Terrassen haben Kleinterrassen einige Vorteile. Weil keine umfassenden Umlagerungen von Bodenmassen stattfinden, bleibt der humose Oberboden erhalten. Die raue Böschung fördert die Begrünung und wirkt Erosion entgegen. Es bleiben mehr Trockenmauern bestehen. Kleinterrassen in Verbindung mit VITRAC können zum Erhalt wertvoller Kulturflächen in Steil- und Steilstlagen beitragen. Die Arbeitszeit pro Hektar könne um die Hälfe gesenkt werden.
Am nächsten Morgen referierte Christian Hiß von der Regionalwert AG über Weinwirtschaft und Nachhaltigkeit und warb um den ATW als Partner. Bei der Mitgliederversammlung des ATW bestätigte die Versammlung Dr. Jürgen Dietrich als ersten und Rainer Jung als dritten stellvertretenden Vorsitzenden.
Für Neu- und Fortsetzungsanträge 2022 standen 50.000 Euro zur Verfügung. Als neues Projekt plant Prof. Manfred Stoll, Geisenheim, eine Photovoltaikanlage im Weinberg. Dr. Ramon Heidinger, WBI Freiburg, wird Gärsalze testen.
Wegen Personalmangel und zunehmender Belastung der Experten an vielen Institutionen müssen einige Vorhaben verschoben werden. bs