Nein! Auch wenn der Bundesrat und der Bundestag jüngst das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (Abmahngesetz) verabschiedet haben und dieses am 2. Dezember 2020 in großen Teilen in Kraft getreten ist, so kann von einer Entwarnung bei Abmahnungen gegenüber direktvermarktenden Winzern und Bauern nicht die Rede sein. Denn der Grundsatz, dass Mitbewerber und darauf spezialisierte Wirtschaftsverbände Abmahnungen aussprechen dürfen, um ihre Kollegen zur Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Regelungen anzuhalten, bleibt bestehen. Für eine solche Abmahnung dürfen, wenn sie berechtigt ist, grundsätzlich Kosten verlangt werden, was vielen landwirtschaftlichen Direktvermarktern und Winzern in den letzten Jahren teuer zu stehen gekommen ist.
Oft wurden sie Opfer von Abmahnwellen, bei denen relativ kleine und unbedeutende wettbewerbsrechtliche Verstöße teure finanzielle Folgen hatten. Hier eine fehlerhafte Angabe im Impressum, dort ein problematischer Gerichtsstand, um zwei Beispiele zu nennen.
Aufwendungsersatz, Vertragsstrafen und vor allem Rechtsanwaltsgebühren haben oft zu finanziellen Belastungen im vierstelligen Bereich geführt. Nicht zuletzt deswegen hatten sich Bauern- und Winzerverbände mehrfach gegen rechtsmissbräuchliche Abmahnungen gewandt und den Gesetzgeber bereits vor vielen Jahren aufgefordert, tätig zu werden, um missbräuchliche Abmahnungen gegenüber Landwirten einzudämmen.
Mit dem nunmehr in Kraft getretenen Gesetz wurde endlich den missbräuchlichen Abmahnungen die Geschäftsgrundlage entzogen, weil finanzielle Anreize beseitigt und die Hürden für die sogenannten „Abmahnvereine“ erhöht wurden, um das Abmahnungswesen zu beschränken.
Höhere Anforderungen an Konkurrenzverhältnis
In Zukunft ist es so, dass ein Mitbewerber nur noch zur Abmahnung berechtigt ist, wenn er gleichartige Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße vertreibt. Es muss ein tatsächliches Konkurrenzverhältnis zum abgemahnten Wettbewerber bestehen, eine gelegentliche Geschäftstätigkeit in einem vergleichbaren Bereich reicht nicht mehr aus. Für Unternehmen, die nur gegründet wurden, um Abmahnungen auszusprechen und die beispielsweise in ihrem Produktangebot nur eine Sorte weißen, rosé oder roten Wein führen, dürfte es schwierig werden nachzuweisen, dass sie tatsächlich am Markt teilnehmen, mit einem Winzer in einem Wettbewerbsverhältnis stehen und es nicht nur darauf angelegt haben, kostenpflichtige Abmahnungen auszusprechen. Solche künstlichen Wettbewerbsverhältnisse sind künftig nicht mehr geeignet, um eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung zu begründen.
Darüber hinaus müssen Verbände, die Abmahnungen aussprechen, besonderen Kriterien unterliegen. Verbände, deren Ziel es in bloßer Gewinnerzielungsabsicht ist, möglichst viele kostenintensive Abmahnungen auszusprechen, können dies nicht mehr tun. Kleinere Verbände mit wenigen Mitgliedern werden es schwer haben, sich darauf zu berufen, Rechte zum Wohle des Verbrauchers zu vertreten. In Zukunft muss ein solcher Abmahnverein mindestens 75 Mitgliedsunternehmen haben, die im tatsächlichen Wettbewerb mit dem abgemahnten Unternehmen stehen. Darüber hinaus müssen diese Vereinigungen in eine besondere Liste „qualifizierter Wirtschaftsverbände“ eingetragen sein. Auch dies wird für einige in den letzten Jahren bekannt gewordenen Abmahnvereine recht schwierig umzusetzen sein, zumal dafür nur eine Übergangsfrist von einem knappen Jahr gilt.
Finanzielle Anreize für Abmahnungen sinken
Als ein weiterer wichtiger Kernpunkt der Neuregelung, werden die finanziellen Anreize für Abmahnungen beschnitten. In Zukunft ist bei einer Abmahnung gegenüber kleineren Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern die Vertragsstrafe auf maximal 1.000 Euro beschränkt, wenn es sich um eine unerhebliche Angelegenheit handelt. Bezieht sich eine Abmahnung gar auf fehlerhafte Informations- oder Kennzeichnungspflichten (zum Beispiel Impressum oder fehlerhafter Hinweis auf Zahlungsmöglichkeiten), so kann ein Mitbewerber keine Vertragsstrafe mehr fordern, wenn solche kleineren Unternehmen Adressat der Abmahnung sind.
Auch der Anreiz, sich die Kosten einer Abmahnung erstatten zu lassen, wurde deutlich reduziert. Bei Verstößen gegen Informations- oder Kennzeichnungspflichten gegenüber Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern ist es nicht mehr möglich, eine Kostenerstattung (bisher meist zwischen 200 und 300 Euro) verlangen zu können, wenn es sich um Bagatellverstöße handelt.
Abschaffung des „fliegenden Gerichtsstandes“
Ein weiterer Aspekt wird viele Opfer von Abmahnungen freuen, der fliegende Gerichtsstand, der für viele betroffene Unternehmer sehr nachteilig war, weil damit Gerichtsverfahren weit ab vom Unternehmenssitz drohten, wird abgeschafft. In Zukunft kann der abgemahnte Unternehmer nur noch bei seinem örtlich zuständigen Gericht verklagt werden und muss nicht fürchten, in die entfernteste Ecke von Deutschland fahren zu müssen, um sich gegen eine Abmahnung zu wehren.
Fazit: Trotz Unsicherheiten bleibt Abmahnrisiko
Die Initiative des Gesetzgebers ist ein wichtiger Schritt, um die Abmahngefahr gegenüber Direktvermarktern und Winzern zu reduzieren. Jedoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gefahr von Abmahnungen insbesondere durch den Wettbewerber gegeben ist. Gravierende Verstöße können und sollen empfindliche finanzielle Folgen haben, sodass jeder Unternehmer gehalten ist, die Einhaltung der wettbewerbsrechtlichen Vorgaben und im Sinne eines fairen Wettbewerbs vor allem im Rahmen seiner Unternehmens- und Produktpräsentation im Internet sorgfältig zu überprüfen.
Aber es ist absehbar, dass einzelne Begriffe, die das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs beinhaltet, wie üblich erst von den Gerichten konkretisiert werden müssen. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, wann eine Abmahnung tatsächlich missbräuchlich ist oder eine Vertragsstrafe unangemessen beziehungsweise überhöht sein kann. Auch die konkrete Frage, wie Wettbewerber nachweisen, dass sie in „nicht unerheblichem Maße“ im Wettbewerb mit dem abgemahnten Unternehmen stehen, wird sicherlich Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen sein.
Wie sich die Neuregelung auf die Anzahl der Abmahnungen im landwirtschaftlichen Bereich auswirken, bleibt abzuwarten. Marcus Hehn