Agrartage Nieder-Olm - Weinmarkt Rheinhessen im Fokus

Rheinhessen

Foto: Ina-Johanna Becker
Marktwirtschaftliche Vorträge und Weinprobe liefern DenkanstößeDie Fassweinpreise sorgen nach wie vor für Gesprächsstoff. Junge innovative Konzepte, abseits der konformen Normen, schaffen es Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dabei wird – angeregt von Weinbauminister Wissing – das Thema „Liebfraumilch 2.0“ gerade heiß diskutiert. Wohin geht also die Reise für Rheinhessen? Bei den marktwirtschaftlichen Vorträgen und einer fachlichen Weinprobe, anlässlich der Agrartage in Nieder-Olm, sorgten die Vertreter des DLR RNH Oppenheim und der HS Geisenheim University für Denkanstöße.Anlässlich der Agrartage in Nieder-Olm war die Ludwig-Eckes Halle mit Besuchern jeder Altersklasse gut gefüllt. Dabei stoßen die Vortragsserien auch immer mehr auf überregionales Interes­se. Bernd Wechsler, Leiter Kompetenzzentrum Weinmarkt und Weinmarketing Rheinland-Pfalz in Oppenheim, eröffnete den marktwirtschaftlichen Teil mit dem Vortrag „Weinmarkt Rheinhessen – wohin geht die Reise“. Mit einem Rückblick auf das Jahr 2016 präsentierte Wechsler die Halbjahreszahlen „Qualitätsweinprüfungen“ der LWK Rheinland-Pfalz. Er leitete etwaige Trends ab und positionierte klar eine Einschätzung. „Der Weinmarkt ist gespalten“, so Wechsler. Er führte ein Beispiel mit einer aktuellen Kampagne vom Discounter Lidl der Schwarz-Gruppe an. Durch Werbekampagnen mit dem Slogan „Große Kosten oder viel verkosten“, wobei ein Biowein mit 2,49 Euro beworben wird, schnüre der Discounter die Erfolge einer nachhaltigen Markenstrategie für deutschen Wein wieder massiv ein.
Qualitätsweinmengein Rheinhessen wächst
Als Pendant dazu habe die Qualitätsweinmenge in Rheinhessen mit 5,3 Prozent aber zugelegt. Unter der Voraussetzung, dass es zu keiner außergewöhnlichen Marktverwerfung mehr kommt, wird die Qualitätsweinmenge aus Rheinhessen im Jahr 2016 ansteigen. Somit könnte die 2,1 Mio. hl Marke geknackt werden. Auch im Vergleich der Betriebsgruppen haben alle zugelegt. Am meisten legten die rheinhessischen Direktvermarkter (+11,4 Prozent) und die Erzeugergemeinschaften wie Winzergenossenschaften (+17,5 Prozent) zu. So sind die Anstellungen von Weingütern und Winzergenossenschaften im Vergleich zum Vorjahr über 4,5 Mio. l gestiegen.
Marktanteil im Handelleicht gestiegen
Weder im LEH noch auf den Exportmärkten sind die Auswirkungen der Missernte 2010 überstanden“, erklärte Wechsler. Die Kellereien erobern nur sehr mühsam die Plätze in den Regalen des Handels zurück. Laut Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist der Marktanteil von deutschem Wein in der ersten Jahreshälfte 2016 im Handel leicht gestiegen. Bei der Qualitätsweinmenge halten die Kellereien ein Vermarktungsanteil von über 70 Prozent und sind somit für Rheinhessen von größter Bedeutung.
Verhaltene Konsumstimmungund im Export nichts
NeuesDagegen meldet die GfK einen mengenmäßigen Rückgang der Weineinkäufe im ersten Halbjahr 2016 um 2,9 Prozent. Ein Grund für die rückläufige Einkaufsmenge sei die demographische Entwicklung in Deutschland. Die Zahl der Haushalte, die selten Wein kauft geht zurück. Dafür nimmt die Intensität derer, die übrig bleiben zu. Wechsler sagt, dass sich der Wettbewerb um diese Kunden noch intensivieren wird. Auch die Wahl der Einkaufsstätte der Konsumenten habe sich verschoben. SB-Warenhäuser wie Toom oder Globus haben weiter zugelegt. Discounter, aber auch die Direktvermarkter über Winzer und Winzergenossenschaften, mussten laut GfK mehr oder weniger große Rückgänge bei den Einkäufen privater Haushalte verbuchen. Zum Export konnte Wechsler keine hoffnungsvollen Zahlen präsentieren. Die Ausfuhren von deutschem Wein haben sich nicht erholt. Die exportierte Weinmenge ist im Zeitraum September 2015 bis August 2016 um 8,1 Prozent geschrumpft. Bei den wichtigsten Exportmärkten USA und Niederlande sind die Ausfuhrzahlen für deutschen Wein gesunken. Besonders kritisch entwickelt sich der Markt in Großbritannien. Hier sind die Exportzahlen drastisch um 25 Prozent gefallen. Ein Plus konnte bei den Ländern Norwegen, Schweiz und Polen verbucht werden.
Liebfraumilch 2.0 – schafftein Relaunch Abhilfe im Export?
Die Debatte um einen Relaunch der Liebfraumilch wurde in der fachlichen Weinprobe intensiv aufgegriffen. Die Probe zog reges Interesse auf sich. In fünf Flights zu den Themen Liebfraumilch, Cuvée, Scheurebe, Aromasorten und Kabinett, lieferten die Experten Bernd Wechsler, Jörg Weiand und Norbert Breier vom DLR RNH, wichtige und zeitgemäße Denkanstöße. Als Quintessenz der Probe ist herauszugreifen, dass ein neuer Gedanke bezüglich der Liebfraumilch auf Berechtigung stößt. Neue Konzepte, wie das vom Weingut Hammel aus Kirchheim in der Pfalz, sorgen für Interesse beim Verbraucher. Eine Weißweincuvée, ganz knapp über halbtrocken mit erfrischender Frucht, findet ihre Freunde. Der Ansatz die Liebfraumilch in einem innovativen Marken- und Vertriebskonzept zu vermarkten, könnte Inspiration für andere Erzeuger schaffen. Wechsler betonte, dass es von Minister Wissing eine eigens dafür gegründete Arbeitsgruppe gebe.
Geisenheimer Marktcheckder Zukunft und Gegenwart
Eine Zukunftsprognose wagte Prof. Dr. Simone Loose der HS Geisenheim University in ihrem Vortrag „Zukunft des deutschen Weinmarktes und die Gegenwart der rheinhessischen Weingüter“. Klar zeichne sich ein Trend bei den Konsumenten ab. Als Datengrundlage nutze sie repräsentative Befragungen der HS Geisenheim University. Der hauptsächliche Konsum von einheimischen Weinen fällt deutlich auf Verbraucher im Rentenalter zurück. Sie haben den höchsten Anteil bei Direkteinkäufen ab Hof. Junge Konsumenten wachsen dagegen in einem international distribuierten Umfeld auf. Deshalb schlägt sich dies in einem mengen- und wertmäßig höheren Konsum ausländischer Weine nieder. Die jüngste Altersgruppe, unter 29 Jahren, zeigt aber eine erste Umkehr dieses Trends auf. Bei der Einkaufstätte prescht die junge Generation klar beim Wein Online einkaufen vor, nutzt aber überproportional den Discount als Einkaufsstätte. Demnach unterscheiden sich junge und alte Weinkonsumenten in ihrem Verhalten stark. Der Weinmarkt müsse sich an diese veränderten Anforderungen der nachwachsenden Käufer anpassen, so Prof. Dr. Loose.
Ina-Johanna Becker