Chancen in der Krise nutzen

RHEINLAND-PFALZ

Foto: Norbert Krupp
Der Weinabsatz bricht ein und erreicht den niedrigsten Stand seit 30 Jahren: Gut situierte Kunden in der zweiten Lebenshälfte schränken den Konsum ein, immer mehr junge Leute bevorzugen andere Getränke und die jüngsten Veröffentlichungen über die Folgen von Alkoholkonsum verstärken diese Trends. „Chancen nutzen“ lautete das optimistische Motto des Weinbaupolitischen Seminars am 8. Januar 2025, zu dem die vor 100 Jahren gegründete Friedrich-­Ebert-Stiftung (FES) ins Parkhotel Kurhaus Bad Kreuznach eingeladen hatte.
Branche in besorgnis­erregender Situation
Nach einigen Jahrzehnten positiver Qualitätsentwicklungen stehen die rheinland-pfälzischen Winzer jetzt „vor einer stark herausfordernden und besorgniserregenden Situation“, analysierte Ministerpräsident Alexander Schweitzer. Die Landespolitik und die Landesregierung stehen an der Seite der Weinbranche, versicherte er und verwies das landeseigene Bürokratieabbau-Programm mit 57 konkreten Maßnahmen. Er bekannte sich zur Bedeutung des ländlichen Raums und des Weinbaus, auch für den Tourismus im Land: Dem trage auch die Weinbaupolitik des Landes mit ihren Förderprogrammen Rechnung.
Florian Maier, der weinbaupolitische Sprecher der SPD-­Landtagsfraktion, stellte fest, dass der wachsende Trend zu alkoholarmen oder alkoholfreien Weine Chancen eröffneten, auch international neue Märkte zu gewinnen.
In einer Diskussionsrunde per Video-Schalte ging die Bundestagsabgeordnete Isabel ­Mackensen-Geis darauf ein, dass der deutsche Wein national und international nicht an erster Stelle stehe: Nur 42 % des Weines, der in Deutschland getrunken werde, stamme aus dem Inland. Marketingexperte Michael Berger schlug im Laufe des Seminars vor, einen Deutschwein-Anteil von 50 % als gemeinsames Branchenziel zu setzen.
Der Deutsche Weinbaupräsident Klaus Schneider verdeutlichte das Ausmaß „der schwierigen Situation, die verschiedene Bereiche“ erfasse. Es fehle der städtischen Bevölkerung das Verständnis für die Menschen auf dem Land sowie die Bedürfnisse und Notwendigkeiten von Landwirten und Winzern. Schneider kritisierte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür, dass sie wissenschaftlich nicht fundierte Studien zu den Folgen von Alkoholkonsum veröffentlichten und damit die Bevölkerung verunsichert hätten. Schneider sprach sich dafür aus, Betriebe nicht aus der Produktion herauszunehmen und auf dauerhafte Rodungen zu verzichten. Stattdessen könnten geförderte Rotationsbrachen zur Mengenreduzierung beitragen. Es dauere in Deutschland auch viel zu lange, Innovationen wie geförderte Drohneneinsätze zu genehmigen.
Von Herausforderungen statt Krise sprechen?
Wirtschafts- und Weinbauministerin Daniela Schmitt appellierte, nicht von Krise zu sprechen, sondern von Herausforderungen. Zudem habe die junge Generation erfolgreich neue Vermarktungsformate etabliert.
Maike Delp, stellvertretende Vorsitzende im Bund der Deutschen Landjugend, bewertete den Begriff „Krise“ als angemessen: Denn die aktuelle Situation betreffe praktisch alle Betriebe. Man sehe aber auch Chancen und hoffe auf eine schnelle Umsetzung der Vorschläge der High Level Group.
Über die Arbeit der High Lievel Group berichtete Europaabgeordnete Maria Noichl. Diese habe zur Stabilisierung des Weinmarktes die Europäische Union aufgefordert, die Produktion zu regulieren, resilienter gegen Markt- und Klimarisiken zu machen sowie den Markt an Verbrauchertrends und andere Entwicklungen anzupassen.
Prof. Dr. Simone Loose von der Hochschule Geisenheim gab zu bedenken, dass Unternehmen nur bestehen könnten, wenn deren Betriebswirtschaft funktioniere. Es habe sich ja nicht nur die Nachfrage von Wein geändert, sondern auch die Kostenstruktur. Schon vor der Krise habe es in vielen Betrieben nicht besonders rosig ausgesehen, weil die Kosten nicht gedeckt waren. „Da müssen wir rangehen, nicht nur an die Vermarktung“, appellierte sie. Es gebe auch Betriebe, die noch von der Substanz lebten, in die es sich aber nicht mehr zu investieren lohne: „Die muss man auslaufen lassen, und das sind auch nicht wenige.“
In einer Weinprobe mit der Deutschen Weinkönigin Charlotte Weihl wurden Produkte vorgestellt, die neue Märkte gewinnen können: Pauline Baumberger-Brand aus Mandel präsentierte ihren facettenreichen, naturtrüben Glow Glow Spätburgunder, Ulrich Lorenz aus Bosenheim seinen aromatischen 2023er Sauvignon Blanc trocken und Christian Nett aus Neustadt an der Weinstraße seinen alkoholfreien Reserve Sauvignon Blanc.
Von KI bis Weinvermarktung
In Foren standen drei Themen im Fokus: Zur Absicherung von kleineren Betrieben und Genossenschaften wurde etwa mehr Begleitung und Förderung bei Betriebsübernahmen sowie die Förderung von genossenschaftlicher Solidarität gefordert.
Künstliche Intelligenz (KI) kann die Arbeit der Weinbranche beflügeln: Stephan Krauß vom Deutschen Forschungszentrum für KI stellte ein Programm zur digitalen Unterstützung des Rebschnitts und einen mobilen Laser-Rebschnitt-Roboter vor. Marketing-Experte Michael Berger zeigte auf, dass freie oder kostengünstige KI-­Software beim Generieren von Texten sowie im Dialog mit Kunden helfen kann.
Als Positiv-Beispiele für Innovationen bei der Weinvermarktung berichte Vinissima-­Vorsitzende Trixi Bannert über erfolgreiche Benefiz-Events sowie Online-Shops und -Verkostungen. Die Deutsche Weinprinzessin Katharina Gräff sprach sich dafür aus, neue Produkte wie alkoholfreie Weine auch mit Unterstützung von Kollegen oder in Genossenschaften zu realisieren.
Norbert Krupp