Ende 2020 hat der Gesetzgeber beschlossen, dass land- und forstwirtschaftliche Betriebe und Winzer mit einem Umsatz von mehr als 600.000 Euro ab dem Kalenderjahr 2022 die Umsatzsteuerpauschalierung nicht mehr anwenden dürfen. Im Folgenden stellt Ralf Stephany, Geschäftsführer PARTA Steuerberatungsgesellschaft mbH aus Bonn, die Fakten und die Auswirkungen für Winzer zusammen.
Warum wird die Pauschalierung eingeschränkt?
Die EU-Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in einem Vertragsverletzungsverfahren verklagt. Der Vorwurf lautet, dass in Deutschland alle landwirtschaftlichen Betriebe, unabhängig von ihrer Größe, die Umsatzsteuerpauschalierung anwenden dürfen. Nach den EU-Verträgen ist dies nur den Betrieben möglich, bei denen die Anwendung des Regelverfahrens der Umsatzsteuer zu erheblichen Schwierigkeiten führt. Die Bundesregierung rechnete damit, das Verfahren zu verlieren und hat deshalb das Gespräch mit Brüssel gesucht, um die Pauschalierung zumindest für einen Teil der landwirtschaftlichen Betriebe zu erhalten. Schließlich hat man sich zwischen Brüssel und Berlin auf eine Umsatzgrenze von 600.000 Euro geeinigt. Brüssel will jetzt die Klage zurücknehmen, was bislang noch nicht erfolgt ist.
Was wäre ohne Einigung passiert?
Wenn es zu keiner Einigung gekommen wäre, hätte der EuGH im Jahr 2021 ein Urteil gesprochen und möglicherweise Deutschland verurteilt, die Umsatzsteuerpauschalierung wesentlich einzuschränken. Durch die erzielte Einigung hat die Bundesregierung das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand genommen. Parallel gibt es noch ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland wegen der Umsatzsteuerpauschalierung. Auch dieses Verfahren soll eingestellt werden.
Wie viele Betriebe sind betroffen?
Die Bundesregierung geht nach Erhebungen des Testbetriebsnetzes von etwa 10.000 Betrieben aus, die zukünftig die Pauschalierung nicht mehr anwenden dürfen. Genaue Zahlen, wie viele Weinbaubetriebe davon betroffen sind, gibt das Testbetriebsnetz dagegen nicht her. Tendenziell werden eher die Betriebe betroffen sein, die eine innerbetrieblich hohe Wertschöpfung haben und stark auf Arbeitnehmer oder Saisonarbeitskräfte angewiesen sind. Weiterhin werden Betriebe mit großer Flächenausstattung oder einem höheren Tierbestand eher davon betroffen sein als andere Betriebe. Es kommt aber immer auf die betrieblichen Verhältnisse an. Eine Umsatzgrenze kann jeder Betriebsleiter relativ schnell aus seinen Buchführungsdaten ablesen.
Wie wird die Umsatzgrenze ermittelt?
Betriebe, deren Gesamtumsatz im Vorjahr mehr als 600.000 Euro betragen hat, dürfen die Pauschalierung im laufenden Kalenderjahr nicht mehr anwenden. Abzustellen ist dabei auf den Netto-Gesamtumsatz der steuerpflichtigen Umsätze. Prämienzahlungen und steuerfreie Umsätze wie der Verkauf von Grund und Boden fallen dagegen nicht unter die Umsatzgrenze. Alle sonstigen Umsätze, auch die Verkäufe von Anlagevermögen wie einer Maschine, sind einzubeziehen. Bei der Ermittlung der Netto- Umsatzgrenze sind alle Umsätze zusammenzurechnen, also nicht nur die land- und forstwirtschaftlichen und weinbaulichen Umsätze. Erzielt der Unternehmer auch Umsätze aus gewerblicher Direktvermarktung oder einer Photovoltaikanlage, einer Straußwirtschaft, so sind alle Umsätze zusammenzurechnen und der Gesamtumsatz ist entscheidend. Dies gilt dann nicht, wenn getrennte Unternehmen vorliegen, also der Einzelunternehmer den Weinbaubetrieb und eine GbR die Vermarktung betreibt. Dann liegen im umsatzsteuerlichen Sinne zwei Unternehmen vor.
Müssen die Betriebe ihre Umsatzgrenze laufend überwachen?
Ja, die Umsatzgrenze muss jedes Jahr geprüft und im laufenden Jahr überwacht werden. Leider steht erst am 31.12. des Kalenderjahres fest, ob man im Folgejahr die Pauschalierung weiterhin anwenden darf oder nicht. Erfolgt zufällig der Verkauf von Wein vor dem Stichtag, kann man schnell die Umsatzgrenze „aus Versehen“ überschreiten. Der Gesetzgeber hat keinen Beobachtungszeitraum von zwei oder drei Jahren vorgesehen, es wird streng auf das Vorjahr abgestellt.
Kann der Betrieb überschlägig seine Netto-Umsatzgrenze berechnen?
Ja, das geht relativ einfach. Vom Gesamtbruttoumsatz nach den Buchführungsdaten ist die vereinnahmte Umsatzsteuer von 10,7 % abzuziehen. Weiterhin sind die Prämienzahlungen abzuziehen, der verbleibende Umsatz entspricht in etwa der neuen Umsatzgrenze. Umgekehrt kann man in etwa davon ausgehen, dass bei einem bisherigen Brutto-Gesamtumsatz von knapp 700.000 Euro nach Abzug der Umsatzsteuer von 10,7 % und der durchschnittlichen Prämienzahlungen ein Nettoumsatz von etwa 600.000 Euro verbleibt. Dies sind aber nur Faustzahlen, jeder Betrieb muss hier genau für sich die Umsatzgrenze überwachen.
Muss ein Antrag gestellt werden, wenn die Grenze überschritten wird?
Nein, man darf im Folgejahr zwingend nicht mehr die Umsatzsteuerpauschalierung anwenden. Dafür ist keine Antragstellung erforderlich. Genauso ist es im umgekehrten Fall. Wenn im Kalenderjahr 2022 die Umsatzgrenze von 600.000 Euro überschritten wird, muss 2023 die Regelbesteuerung bei der Umsatzsteuer angewendet werden. Wird 2023 dann wiederum die Grenze von 600.000 Euro unterschritten, kann man 2024 wieder zur Umsatzsteuerpauschalierung zurückkehren.
Was passiert beim Wechsel von Pauschalierung zur Regelbesteuerung?
Hat man bislang die Pauschalierung angewendet, konnte man keine Vorsteuern aus den eingekauften Betriebsmitteln abziehen, man konnte die Pauschalierungsumsatzsteuer von 10,7 % als zusätzliche Einnahmen behalten. Beim Wechsel zur Regelbesteuerung muss man die ausgewiesene Umsatzsteuer an den Fiskus abführen, kann gleichzeitig aber die Vorsteuer aus den Vorprodukten geltend machen. In der Umsatzsteuervoranmeldung wird daher immer der Saldo zwischen der abzuführenden Umsatzsteuer und der abzuziehenden Vorsteuer ausgewiesen. Weil damit ein Systemwechsel einhergeht, hat der Gesetzgeber eine automatische Korrektur für die Vorjahre vorgesehen.
Wenn man in den Vorjahren keine Vorsteuer erstattet bekam, wird dies korrigiert. Betriebe, die daher 2022 zwangsweise wechseln müssen, erhalten in den meisten Fällen zunächst eine Erstattung vom Fiskus. Diese wird anhand der eingekauften Wirtschaftsgüter errechnet. Bei Gebäuden oder festverbauten Einbauten gilt eine Frist von zehn Jahren. Erfolgte die Anschaffung zum Beispiel vor sechs Jahren, erhält man 4/10 der ursprünglichen Vorsteuer zurückerstattet. Bei beweglichen Wirtschaftsgütern gilt eine Frist von fünf Jahren. Die Erstattung erfolgt nicht auf einen Schlag, sondern monatlich oder quartalsweise, je nach dem Voranmeldungsrhythmus, zu dem man eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben muss.
Kann man freiwillig zur Regelbesteuerung optieren?
Ja, dies war bisher und ist auch zukünftig weiterhin möglich. Dies kommt für Betriebe in Betracht, die rund um die Umsatzgrenze von 600.000 Euro liegen, damit man den jährlichen Wechsel „raus aus der Pauschalierung, rein in die Pauschalierung“ vermeidet. Wer eine solche Optionserklärung gegenüber dem Finanzamt abgegeben hat, ist daran für fünf Kalenderjahre gebunden. Nach Ablauf der fünf Jahre kann man jederzeit wieder zur Pauschalierung zurückkehren.
Wann und wie muss eine solche Optionserklärung abgeben werden?
Die Optionserklärung muss schriftlich gegenüber dem Finanzamt erklärt werden. Man kann bis zum 10. Werktag des Folgejahres für das vergangene Jahr rückwirkend optieren. Man kann daher noch bis zum 11.01.2022 auch für das Kalenderjahr 2021 insgesamt zur Regelbesteuerung rückwirkend optieren. Allerdings ist eine solche rückwirkende Option mit viel bürokratischem Aufwand verbunden, weil sämtliche Ausgangsrechnungen oder Gutschriften auf den neuen Umsatzsteuersatz zu korrigieren sind. Optionserklärungen sollten daher nur für die Zukunft abgegeben werden.
Was passiert bei der Neugründung eines Betriebes?
Das Umsatzsteuerverfahren ist die Regel für alle Landwirte und Winzer, auch für Neugründungen. Will man von Anfang an die Regelbesteuerung anwenden, muss man einen Antrag auf Abwahl der Pauschalierung stellen, welchen einen dann für fünf Jahre bindet.
Welche Rolle spielt die Kleinunternehmerregelung?
Im Umsatzsteuergesetz gibt es die Kleinunternehmerregelung in Höhe von 22.000 Euro. Wenn die Gesamtumsätze des Betriebes nicht höher sind, sind die Ausgangsrechnungen oder Gutschriften umsatzsteuerfrei und man kann keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Auch hier ist der Gesamtumsatz des Betriebes zusammenzurechnen, also sowohl landwirtschaftliche als auch außerlandwirtschaftliche Umsätze. Daher kommt die Kleinunternehmerregelung ausschließlich für Nebenerwerbsbetriebe oder sehr kleine Betriebe in Betracht.
Was ist mit Betriebsteilungen?
Wenn Betriebe geteilt werden, gibt es klare Vorgaben der Finanzverwaltung. Es müssen nicht nur steuerliche, sondern auch außersteuerliche Gründe dafür vorliegen. Zudem müssen die Betriebe komplett getrennt gehalten werden, dies gilt sowohl für die Buchführung als auch für das Bestellwesen, die Bankkonten und Lieferkonten bei Genossenschaften. In der Praxis ist eine solche strikte Betriebstrennung, zum Beispiel zwischen Ehegatten, zwar nicht unmöglich, erhöht aber den bürokratischen Aufwand erheblich.
Welche Auswirkungen ergeben sich dadurch bei der Einkommensteuer?
Bei der Einkommensteuer konnte bislang die Umsatzsteuerpauschalierung von 10,7 % als zusätzlicher Ertrag gewinnerhöhend angesetzt werden und musste mit dem persönlichen Steuersatz bei der Einkommensteuer versteuert werden. Im Gegenzug konnten die Vorsteuern nur als Betriebsaufwand geltend gemacht werden und minderten insoweit den Gewinn nur in Höhe des persönlichen Steuersatzes. Betriebswirtschaftlich hat der pauschalierende Landwirt oder Winzer immer auf Bruttobasis seine Aufwendungen und Preise kalkuliert. Dies ändert sich bei der Anwendung der Regelbesteuerung. Die Umsatzsteuer wird dann ein durchlaufender Posten, die eingenommene Umsatzsteuer ist an den Fiskus abzuführen und die Vorsteuer kann gegengerechnet werden. Ertragsteuerlich wirkt sich die Umsatzsteuer nicht mehr aus. Betriebsleiter müssen daher zukünftig auf Nettobasis ihre Aufwendungen und Preise kalkulieren.
Gibt es zusätzliche Aufzeichnungspflichten?
Für pauschalierende Landwirte und Winzer gab es Erleichterungen bei den Aufzeichnungsverpflichtungen für die Umsatzsteuer. Diese fallen weg, wenn die Regelbesteuerung anzuwenden ist. Der Steuerpflichtige muss in diesen Fällen die vom Gesetzgeber vorgesehenen Aufzeichnungspflichten uneingeschränkt erfüllen. Anhand dieser Aufzeichnung kann dann geprüft werden, ob die Umsatzgrenze von 600.000 Euro wieder unterschritten wird.
Wie viele Umsatzsteuererklärungen muss man abgeben?
Wenn die Regelbesteuerung anzuwenden ist, müssen auch Voranmeldungen und immer eine zusammenfassende Jahres- Umsatzsteuererklärung abgegeben werden. Man gibt also entweder 5 (Quartal) oder 13 (Monate plus Jahreserklärung) Umsatzsteuererklärungen ab. Beträgt die abzuführende Umsatzsteuer des Vorjahres nicht mehr als 7.500 Euro, reicht es, wenn die Umsatzsteuervoranmeldung quartalsweise abgegeben wird, sonst muss die Voranmeldung monatlich beim Finanzamt erfolgen.
Die Umsatzsteuervoranmeldung und die Bezahlung der Steuer muss immer bis zum 10. des Folgemonats oder des Folgequartals erfolgt sein. Wird die Frist auch nur um einen Tag überschritten, gibt es sofort Säumniszuschläge. Mit einer Dauerfristverlängerung kann man die Erklärung genau einen Monat später abgeben, muss aber in vielen Fällen einen bestimmten Betrag vorab an das Finanzamt als Sicherheitsleistung entrichten. Diese Dauerfristverlängerung entzerrt den bürokratischen Ablauf erheblich. Zudem hat es sich als praktisch erwiesen, wenn das Finanzamt ein Lastschriftmandat hat, weil dann bei fristgemäßer Einreichung der Erklärung der Fiskus für eine zeitnahe Abbuchung sorgen muss. Betriebe, die bereits regelbesteuernde Umsätze anmelden mussten wie Umsätze einer Photovoltaikanlage, Direktvermarktung oder Lohnunternehmen, kennen dieses Verfahren.
Wie viel Kosten kommen auf den Betrieb zu?
Die zusätzlichen Kosten durch die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und einer Jahreserklärung hängen vom Gesamtvolumen des Mandats ab. Es werden aber zusätzliche Kosten von 1.000 bis 1.500 Euro nur aufgrund der Abgabe dieser Steuererklärungen und der dafür erforderlichen Erfassung der Daten entstehen.
Wird auch der Pauschalierungssatz geändert?
Bei den Vergleichsgesprächen mit der EU-Kommission hat sich Deutschland auch dazu verpflichtet, in einem jährlichen Monitoring die Höhe der Pauschalierungssätze zu überprüfen. Aktuell zeigen die neuen Zahlen, dass der Pauschalierungssatz von 10,7 auf 9,6 % abgesenkt werden muss. Da dies vor der Bundestagswahl im September 2021 vom Parlament nicht mehr beschlossen werden kann, wird diese Absenkung sicher nach der Wahl wieder auf den Tisch kommen.
Was passiert mit der Umsatzsteuer von 8,3 % beim Verkauf alkoholischer Flüssigkeiten?
Pauschalierende Winzer, welche alkoholische Flüssigkeiten veräußern, müssen bereits jetzt die Differenz zwischen dem Pauschalierungssatz von 10,7 % und dem Regelsteuersatz von 19 %, also 8,3 %, an den Fiskus abführen, wenn alkoholische Flüssigkeiten veräußert werden. Dazu zählt der Verkauf von Flaschenwein, Fasswein und Most. Daran ändert sich nichts, wenn der Betrieb unverändert in der Pauschalierung bleiben kann, also der Umsatz nicht mehr als 600.000 Euro im Vorjahr beträgt. Sollte der Pauschalierungssatz abgesenkt werden, erhöht sich die Differenz von 8,3 % auf möglicherweise 9,4 %. Ralf Stephany, PARTA Steuerberatungsgesellschaft mbH, Bonn