Krise heißt immer auch Chance

12. Heilbronner Weinmarketingtag

Foto: Hochschule Heilbronn
Der 12. Heilbronner Weinmarketingtag stand unter dem Motto „Krise heißt immer auch Chance“. Nach zweijähriger pandemiebedingter Pause traf man sich in der Aula am Campus Heilbronn. Traditionell treffen in Heilbronn Verantwortliche aus Weingütern, Genossenschaften und Handel auf Wissenschaft und Forschung. Ein Drittel der Teilnehmenden waren zum ersten Mal auf der Veranstaltung. Viele kamen direkt von der Prowein aus Düsseldorf nach Heilbronn.
Prof. Ruth Fleuchaus, Stu­diengang Weinmarketing und Management der Hochschule Heilbronn, sprach von einer bisher so noch nicht dagewesenen Situation – sowohl gesamtgesellschaftlich als auch für die Weinbranche. „Zusätzlich zu den Corona-Folgen erleben wir aktuell einen Krieg in Europa mit bislang unübersehbaren Auswirkungen“, sagte Prof. Fleuchaus. Die Weinbranche verzeichnet sprunghaft gestiegene Kosten für Energie, Verpackung und Logistik sowie komplette Lieferausfälle bei Flaschen, Kapseln und anderer Hardware und Technik.
18 % Rückgang beim Weinabsatz
Verständlich ist, dass die Verbraucher, die während der Corona-Zeit in Ausgabelaune waren, mit kontinuierlich steigender Inflationsrate deutliche Zurückhaltung beim Kauf von Lebensmitteln und eben auch von Wein zeigen. 18 %Rückgang beim Weinabsatz im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr und 7 %gegenüber der Zeit vor Corona sprechen eine deutliche Sprache.
Veränderungen böten immer auch Chancen und heben Potenziale. Es reiche auf die Dauer nicht, erst unter Druck nach neuen Lösungen zu suchen. Nachhaltige Innovation sei eine Frage der Kultur und nicht des Krisenmanagements. Innovations-Kultur müsse in den Unternehmen verankert werden.
Von Produktorientierung zur Kundenorientierung
Johannes Josnik, Partner von Weissman & Cie in Nürnberg, erläuterte, welchen Einfluss eine klar definierte unternehmerische Strategie in Krisensituationen hat. Sie gibt die Richtung für Veränderungen vor und ist Basis allen Handelns. Als unverzichtbare Erfolgsfaktoren in Zeiten der Veränderung identifizierte Josnik eine radikale Kundenorientierung sowie Innovationen, eine starke Marke und unbedingten Willen zur Transformation.
Wie Veränderung erfolgreich gelingen kann, demonstrierte der ehemalige Leistungssportler am Turnaround des notleidenden Sportartikel-Herstel­lers Puma, der sich mit einer klaren Strategie zu einem der heißesten Sportlifestyle Brands weltweit entwickelte. Josnik machte Mut zu Innovationen: „Für Konsumenten ist Innovation der zweitwichtigste Faktor bei der Auswahl von Produkten.“
Schloss Vaux steht für hochwertige Sekte mit traditioneller Methode, mit definierter Herkunft und Premiumanspruch. Vorstandvorsitzender Christoph Graf sagt, dass es in der Krise wichtig sei, nicht dem Fluchtinstinkt, der sich nach der Schockstarre einstelle, zu folgen. Aktio­nismus, Flucht ins Ausprobieren und hektische Aktionen seien wenig erfolgversprechend. Eine Standortbestimmung und ein klares Konzept helfen eher weiter. So habe man bei Schloss Vaux in Eltville die Corona-Zeit für zukunftsweisende Veränderungen im Unternehmen genutzt.
Die neuen Medien bespielen
Veränderungen am Markt gehen auch an einer Traditionsmarke wie Schloss Vaux nicht spurlos vorbei. Der Markt verlange auch in diesem Segment neue Produkte. Demografische Veränderungen machten es wichtig, neue Zielgruppen zu erschließen. Wolle man sichtbar bleiben, müsse man die neuen Medien bespielen. Vielleicht komme man auch zu der Erkenntnis, dass man alleine nicht weiterkomme, dann müsse man sich Mitstreiter suchen. In diesem Sinne war der gemeinsame Auftritt der „Traditionellen Sektmacher“ bei der Prowein ein voller Erfolg.
Dass Tradition bei Produkt­innovationen nicht hinderlich sein muss, demonstrierte Graf am Beispiel des ersten mit Flaschengärung erzeugten Sektes mit nur zwei %Alkohol. Basis des Novaux ist ein entalkoholisierter Wein, der mit der traditionellen Methode versektet wird. Das Produkt hat mit anderen am Markt vertretenen alkoholfreien Schaumweinen nichts zu tun. Es unterstreicht auch im low alcohol Segment den Premiumanspruch von Schloss Vaux und wird mit 16 Euro/Flasche zum Premiumpreis am Markt positioniert. Die Testmenge ist bereits vergriffen. Die 30 000 für 2022 vorgesehenen Flaschen werden aktuell ausgeliefert.
Innovative Genossen erobern die Welt
Innovative Genossen erobern die Welt – unter dieser Überschrift stellte Wendelin Grass die Exportkooperation der vier Genossenschaften Alde Gott (Baden), Divino (Franken), Cleebronn-Güglingen (Württemberg) und Weinbiet (Pfalz) vor. The German Wine Group wurde 2017 als GmbH gegründet mit dem Ziel, den Export der vier Genossenschaften zu bündeln und als nachhaltigen Absatzkanal zu etablieren. Selbst für große Genossenschaften ist der Export oft nur Randthema, das mit viel Aufwand aber wenig Ertrag verbunden ist. Doch gemeinsam kann etwas daraus werden.
Weine aus unterschiedlichen Rebsorten und Regionen - aber aus einer Hand und direkt vom Erzeuger. Kontrollierte Qualität vom Weinberg bis in die Flasche und dauerhaft verlässliche Lieferfähigkeit, dafür steht The German Wine Group und hebt sich von anderen Anbietern wie Agenturen und Brokern ab. Nach drei Jahren ist man in 20 bis 25 Märkten präsent. 2020 hat sich das VDP-Weingut Staatlicher Hofkeller Würzburg der Kooperation angeschlossen.
Bei der Prowein 2020 sollte eine gebietsübergreifende Deutschweinmarke gelauncht werden, doch Corona kam dazwischen. Das Weinkonzept gefiel Lidl so gut, dass daraus die „Heimatwein“-­Serie wurde. Für Netto wurde ein Winzerinnen-Wein kreiert, der im November 2021 als „Reben-Tänzerin“ in die Märkte kam.
Bei der Prowein 2022 gab es einen erfolgreichen gemeinsamen Messeauftritt, bei dem weitere Produktlinien vorgestellt wurden. Die Gespräche bei der Messe waren so erfolgreich, dass sich die Genossen sogar vorstellen können, weitere Partner mit ins Boot zu nehmen.
Marian Kopp, Geschäftsführender Vorstand der Lauffener Weingärtner eG, zeigte, welche Chancen sich im Weinmarketing bei konsequenter Ausrichtung an Verbrauchern, Handel und Wettbewerb ergeben. Die Lauffener Weingärtner sind eine der größten Winzergenossenschaften in Deutschland mit vielen Prämierungen. Sie sind im nationalen Handel mit Rebsortenweinen breit gelistet.
Daneben wurden in den letzten Jahren erfolgreich mehrere innovative Weinlinien im Lebensmittelhandel etabliert: zu nennen sind „Lesestoff“ mit mehr als 1 000 000 verkauften Flaschen seit 2017 und „Whyne“ – wine meets whisky seit 2019 im Premiumsegment. Regelmäßige Innovationen erzeugen Aufmerksamkeit – deshalb seien sie notwendig.
Leider zeichne sich die Weinbranche durch eine starke Produktorientierung aus. So entstehe eine Asymmetrie in der Wahrnehmung zwischen Produzent und Kunde. Eine konsequente Kundenorientierung hilft, diese Asymmetrie zu vermeiden. Die neue Weinserie der Lauffener Weingärtner setzt genau dort an: Die Rolle der Frauen beim Weinkauf und beim Konsum werde oft falsch eingeschätzt. 56 % des Weines werde von Frauen gekauft und Frauen gäben auch mehr Geld für Wein aus – 185 Euro (Männer 175 Euro). Frauen sind überwiegend für die Haushalts­einkäufe zuständig – auch für den Weineinkauf im Supermarkt oder beim Discounter.
Markenwein exclusiv für Frauen
In Kooperation mit der Frauenzeitschrift „Brigitte“ stellen die Lauffener Weingärtner den ersten Markenwein exclusiv für Frauen vor. Starke Weingärtnerinnen in Lauffen und eine starke Frauenzeitschrift in Hamburg bedeutet Frauenpower in der Flasche. Zum Start kommen zwei Weine in den Handel. Auf den Etiketten prangt das Brigitte-Logo. Das Konzept wurde mit dem „All Beverage Award“ ausgezeichnet.
Wein brauche einen identifizierbaren Absender und eine Herkunft, sagt Kopp. Obwohl die Marke Brigitte im Vordergrund stehe, sind die Lauffener Weingärtner mit ihrem traditio­nellen Logo auf der Kapsel und dem Rückenetikett vertreten.
Was bedeutet nachhaltige Markenführung?
Auch eine alteingeführte Premiummarke wie Rothaus mit seinem Kultbier Tannenzäpfle kann sich nicht auf Erfolgen ausruhen. Nachhaltigkeit in der Markenführung sei, so Christian Rasch, Alleinvorstand der Badi­schen Staatsbrauerei Rothaus AG der einzige Weg, das Unternehmen zukunftsfest zu machen. Die Marke Rothaus sei geprägt vom Standort im Schwarzwald: die Qualität der Rohstoffe, das Wasser aus eigenen Quellen und das besondere Rothaus-­Brauverfahren.
Verbraucher erwarten bei Premium-Produkten eine zunehmende Orientierung an Prinzipien des Klimaschutzes, der Ökologie und Nachhaltigkeit. Damit werde aktiver Klimaschutz und klimapositives unternehmerisches Han­deln zu einem ökonomischen Faktor. Rothaus verstehe Klimaschutz als eine Frage der Wertschätzung den Kunden, Mitarbeitern und der Umwelt gegenüber. Zudem bedrohe der Klimawandel die Existenz der Marke: Wenn die Quellen wegen versiegen, die Qualität der Rohstoffe leide und der Standort für Mitarbeiter an Attraktivität verliere, sei die Existenz in Gefahr. Klimapositives Handeln sei überlebenswichtig. Morgen sei eben nicht egal, sondern die Zukunft.
Rothaus hat ein umfangreiches Programm aufgelegt, um das Unternehmen bis 2030 klimapositiv zu machen. In diesem Prozess wird nicht nur der Betrieb neu ausgerichtet, sondern auch die Rohstofflieferung. Die Logistik und Distribution wird mit einbezogen. Bereits aktuell sei der CO2 Ausstoß deutlich verringert worden. Dazu beigetragen haben eine neue Abfüllanlage, eine Solarthermie-Anlage, die heißes Wasser und Dampf erzeugt und eine Biogasanlage. Weitere Investitionen, wie 9 000 m² Photovoltaik, mehrere Windkrafträder und 100 %Elektromobilität, auch der LKW Flotte, stehen an. Dies alles mache die Marke teurer, so Rasch. Nichthandeln koste allerdings unser aller Zukunft und die Zukunft der Marke.
Warum hat alkoholfreier Wein schlechtes Image?
Warum gibt es so gut wie keine hochqualitativen, alkoholfreien Essensbegleiter, die zu einem bewussten, aber anspruchs- und stilvollen Lebensstil passen? Dies fragten Philipp Rößle und Moritz Zyrewitz. Antworten suchten sie bei Winzern, Kellereien und Entalkoholisierungsspezialisten weltweit. 2018 wurde ein Projekt daraus: Das war die Geburtsstunde von Kolonne Null. 2018 wurde der erste Wein in Co-Produktion mit einem kleinen Weingut aus Niederösterreich erzeugt, der über Wochenmärkte und Weinhandlungen vertrieben wurde. Aus einem Wein ist ein Sortiment von Weinen und Schaumweinen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien unter der Dachmarke Kolonne Null geworden. Kolonne Null sucht erfolgreich die Zusammenarbeit mit renommierten Winzern – vorwiegend Familienbetrieben – auch alkoholfreier Wein braucht Topp-­Produzenten und Herkunft. Kolonne Null begleitet die Weine vom Weinberg bis in die Flasche. Das notwendige Know-How haben sich die Gründer selbst erarbeitet und auch von außen in die Firma geholt. So werden seit einiger Zeit alle Prozesse durch ein firmeneigenes Labor überwacht. Für die Zukunft ist eine eigene Produktion und ein repräsentatives, eigenes Stammhaus geplant.
Die Weine werden über den eigenen Onlineshop vertrieben, sind mittlerweile aber auch bundesweit bei Topp-Adressen im Weinfachhandel, in Feinkostabteilungen und bei engagierten EDEKA und REWE Händlern zu finden. Die Preise der Weine liegen bei um die 10 Euro/Flasche. Aktuell wird getestet, ob es auch einen Markt für alkoholfreie Premium-Weine für 20 Euro und mehr gibt.
Der 12. Heilbronner Weinmarketingtag war ein schöner Erfolg nach der langen Corona-bedingten Pause. Die lehrreichen und unterhaltsamen Beiträge der Referenten regten das Publikum zum Nachdenken ein. Es gab wie immer viele Diskussionen und vielleicht entstehen auch in diesem Jahr daraus wieder, wie schon bei vorherigen Weinmarketingtagen, neue Ideen, Konzepte und gemeinsame Aktivitäten. Der 13. Heilbronner Weinmarketingtag ist für den 11. Mai 2023 angesetzt.
Prof. Dr. Ruth Fleuchaus, Friederike Watzl, HS Heilbronn