Neue Empfehlungen zum Alkoholkonsum

Deutsche Weinakademie (DWA)

Nachdem im August 2024 die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Empfehlungen zum Alkoholkonsum geändert hat, häufen sich in den Medien und in den sozialen Netzwerken Wortmeldungen, die selbst den Genuss von einem Glas Wein als ein hohes Risiko für die Gesundheit brandmarken. Wissenschaftliche Studien, die diese pauschale Verurteilung eines moderaten Weinkonsums eindeutig widerlegen, werden dabei bewusst oder unbewusst ausgeblendet.
Der Frage, inwieweit die neuen Alkoholkonsumempfehlungen von DGE, WHO und Co auf wissenschaftlicher Evidenz basieren oder vielleicht politisch motiviert sind, ging die Deutsche Weinakademie (DWA) in einem Online-Seminar mit Prof. Dr. Nicolai Worm nach. Der Ernährungswissenschaftler ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der DWA und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Auswirkungen des moderaten Weinkonsums auf die Gesundheit.
Was ist wissenschaftlich erwiesen – was ist Hetze?
Null-Promille für Schwangere und Kinder ist selbstverständlich, aber für alle? Wo ist die wissenschaftliche Evidenz der DGE und WHO für ihre effektheischerischen Überschriften, die von Medien, Mediendoktores und selbsternannten Gesundheitsexperten übernommen werden? Das DWA fragte hierzu Prof. Dr. Nicolai Worm, Wissenschaftler und Kenner der evidenzbasierten Ernährungsmedizin.
Prof. Worm berichtete von den neuen DGE-Richtlinien, die leider nicht auf guter Recherche der nationalen Wissenschaftler basieren, sondern sich der neusten Empfehlungen der WHO und eines kanadischen Instituts für Suchtforschung bedienen. Letzteres wird von Wissenschaftlern zur Suchtthematik beraten. Die Kanadier nutzten für ihre Berechnungen Datenquellen, wie die Global Burden of Disease Studie (GBD 2018), aus dem Canadian Alcohol & Drug Use Monitoring Survey und dem Canadian Tobacco, Alcohol & Drugs Survey. Die Konsumdaten wurden anhand von Daten des Global Information System on Alcohol and Health (2021) der WHO um den Gesamtkonsum in Kanada (Pro-Kopf-Konsum von Erwachsenen) korrigiert. Die Berechnungen bezogen sich nur auf den Ethanolgehalt und boten keinerlei Differenzierung nach Art der alkoholischen Getränke.
Dagegen kann man viele Einwände haben, vor allem den, dass die frühere GBD-Studie bereits die berühmte J-Kurve zeigt, die allerdings keine Erwähnung mehr fand.
Diese (fälschlichen) Schlussfolgerungen des No Safe Levels wurden nach einer Neubewertung drei Jahre später von denselben Autoren widerrufen mit dem Kommentar, man hätte weitere Faktoren einbezogen und nun gezeigt, dass für Menschen über 40 Jahre ein wenig Alkohol sogar positive Wirkungen haben kann. Viele aktuelle Studien bestätigen mittlerweile, dass die J-Kurve gültig ist – besonders, wenn man die früheren „Trinker“, die krankheitsbedingt das Trinken eingestellt hatten, aus der Referenzgruppe ausschließt und nur lebenslang Abstinente in die Auswertungen aufnimmt.
Die kanadische Regierung hat Ende 2024 die oben genannten Erkenntnisse des Kanadisches Instituts für Suchtforschung erstaunlicherweise nicht übernommen. Sie folgte dem neuen Report der Nationa­len Akademie, der Medizin/ NASEM, der nach detaillierter Analyse und Eliminierung aller bekannten Störfaktoren gezeigt hat, dass moderater Konsum von 14 g für die Frau und 28 g Alkohol/Tag für den Mann mit einer Risikosenkung je nach Indikator bis zu 22 % einherging. Ein krasses Beispiel für die Gemengelage von Wissenschaft und Politik.
Warum wird das nicht publiziert?
Eine Studie aus 2023 ergab nach einem Review von 74 Beobachtungsstudien, dass moderater Konsum (1 Glas/Tag für die Frauen, und 2 Gläser für die Männer) mit keinerlei Anzeichen für Demenz, Herzerkrankungen, Gesamtsterblichkeit und Krebs verbunden war.
Es wird nachgeredet, abgeschrieben und kommuniziert, dass Alkohol, unabhängig von Dosis, Getränkeart, Lebensstil, verantwortlich für sieben Krebs-
arten sei. Man weiß, dass Krebs nicht nur eine Ursache hat, sondern eine multikausale Erkrankung ist, abhängig von Genetik, Mikrobiom, Ernährung, Bewegung, Vitaminstatus, Entzündung und vielem mehr. Prof. Worm machte das Zusammenwirken der vielen anderen Faktoren an aktuellen Original­arbeiten zu Körpergewicht und Bewegung deutlich.
Dass es auch auf die Art des alkoholischen Getränkes ankommt, zeigt die UK-Biobank-­Studie mit über 350.000 Probanden. Danach war gerade für Weintrinker sogar mit übermoderaten Tagesdosen kein signifikantes Krebsrisiko erkennbar. Zahlreiche andere aktuelle Studien untermauern dies, zumindest bei moderatem Konsum von 1 bis 2 Gläsern Wein pro Tag.
Könnte dies auch neben Lebensstilfaktoren dem Getränk per se geschuldet sein? Es liegt nahe, dass die antioxidativen Polyphenole im Wein eine Art „Gegenwirkung“ haben (wie im Labor nachgewiesen), belegt ist es mit guten Studien für Menschen allerdings nicht.
Worm zeigte zahlreiche Studien, denen beobachtete Fälle und gemessene Trinkverhalten zugrunde liegen und nicht auf Verbrauchsstatistiken und Schätzungen, auf die sich die WHO bezieht.
„Wie kommt die DGE nun zu ihren Leitlinien? Warum erfahren die Verbraucher in Deutschland und Kanada nichts von diesen Studien?“ fragt Prof. Worm zurecht. Er habe nichts davon, ob und wie viel Wein oder Bier getrunken wird, er fühle sich der Wissenschaft verpflichtet und brenne für die evidenzbasierte Forschung.
Wem soll man glauben?
Eine Rolle spielen die Akteure der Organisationen. So auch Tim Stockwell und Kollegen, auf die sich das kanadische Suchtinstitut bezieht. Diese stehen Movendi international (früher Guttempler), DER Anti-­Alkohol-Gruppe schlechthin- nahe, die wiederum die WHO massiv unterstützt. Dies lässt an der Objektivität der WHO sehr zweifeln. Die DGE nimmt das alles undifferenziert und unkritisch auf und ändert sogar ihre offiziellen Leitlinien. Evidenzbasierte Wissenschaft sieht anders aus.
Fazit: Moderater Konsum erhöht Krebsrisiko nicht
Leichter bis moderater Weinkonsum zu den Mahlzeiten, vorzugsweise mit mediterraner Ernährung und gesunder Lebensweise, reduziert nach bester verfügbarer Evidenz bei den meisten Menschen im mittleren und höheren Alter das Risi­ko für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie die Gesamtsterblichkeit und erhöht nicht das Krebsrisiko. Das sollte für die meisten Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit als sicher angesehen werden. red