Von der kleinen Idee in Richtung große Bewegung, um den Weinbau zu verändern

Interview mit Dr. Eva Vollmer zum Thema „Zukunftsweine“

Foto: Jonas Werner-Hohensee
Nachdem Dr. Eva Vollmer aus Mainz-­Ebersheim Souvignier gris pflanzte, kam die drängende Frage auf: Wie soll sie denn die neue Sorte überhaupt vermarkten? Gemeinsam mit Winzerin Hanneke Schönhals und Johannes Schiebe von der Agentur schiebezimmer entwickelte sie erste Konzepte. So entstand aus einer kleinen Idee die Bewegung „Zukunftsweine“ mit dem Ziel, den Weinbau zu verändern.
Dr. Eva Vollmer erzählt im Interview, was hinter dem Projekt steckt und wie es damit weitergeht.

Was sind die Ziele des Projekts „Zukunftsweine“?
Eva Vollmer: Die Weinbranche steht vor der Herausforderung, ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Ein Ziel unserer Bewegung ist es, mehr nachhaltige Zukunftsreben, Piwis, zu pflanzen. Dazu muss die Kommunikation in allen relevanten Branchenteilen gestärkt werden. Ein Teil der Branche sind wir, also die Winzerschaft. Aber auch die Kunden wollen wir von der Kraft der Zukunftsweine überzeugen. Und nicht zuletzt braucht es Händler, die die Weine listen. In diesem Kreislauf spielt sich ja der Weinbau ab und dort wollen wir in die positive Kommunikation für diese Sorten gehen. Jede neu gepflanzte Zukunftsrebe ist eine gute Rebe. Wir wollen allen die Hand reichen und möchten dem deutschen Weinbau die Pforten öffnen, in eine nachhaltigere Zukunft zu gehen.
Wie viele Betriebe sind schon Mitglied der Bewegung?
Vollmer: Die ersten Ideen entstanden vor knapp zwei Jahren, wir sind immer noch am Anfang. Unsere offizielle Gründung war letztes Jahr im Dezember und seitdem sind schon über 20 Betriebe deutschlandweit dazu gekommen. Winzer sind häufig damit beschäftigt, Lager aufzubauen, wie bei öko gegen konventionell. In Sachen Umwelt, Verantwortung, Veränderung und Pflanzenschutz können wir uns nicht erlauben, gegeneinander zu arbeiten. Es ist gesellschaftlicher und politischer Druck da und wir wollen dem begegnen. Nicht mit Abwehr, sondern mit konkreten Lösungen: dem Anbau und der Vermarktung nachhaltiger Rebsorten. Für zukunftsfähigen Weinbau müssen sich aus unserer Sicht die Rebsortenanteile positiv in Richtung dieser Sorten verschieben. In der Zwischenzeit gibt es neue Kreuzungsstufen, im Geschmack ist da einiges passiert. Wir stellen unsere Weine auch ganz bewusst in blinde Verkostungen. Wenn offen mit der Sorte kommuniziert wird, passiert es oftmals, dass Weinkritiker besonders kritisch drauf­äugen.
Wie kamen Sie auf den Begriff „Zukunftsweine“?
Vollmer: Der Begriff war auf einmal da. Das Wort Piwi war mir schon immer ein Dorn im Auge und unter dem Begriff wollte ich die neue Sorte nicht in die Kommunikation nehmen. Ein Jahr lang habe ich sogar die Lautschrift von Souvignier gris auf“s Etikett geschrie­ben. Aber danach wurde schnell klar, es braucht einen schlagkräftigen Begriff, das Baby verdient einen Namen. Es gibt ja nicht nur Souvignier gris, sondern ganz viele tolle Sorten wie Sauvignac oder Cabertin. Und als dann der Name „Zukunftsweine“ geboren wurde, wussten wir: Das hat großes Potenzial.
Wie kann man Zukunftswinzer werden? Und welche Vorteile hat man, Teil der Bewegung zu sein?
Vollmer: Die einzige Voraussetzung ist, aus Überzeugung Zukunftsreben zu pflanzen. Vorteile hat man zum einen auf der internen Ebene, das heißt durch die Plattform, die wir für die Winzerinnen und Winzer geschaffen haben. Denn es muss noch ganz viel Know-how ausgetauscht werden, untereinander aber auch mit starken Partnern. Wir haben zum Beispiel Online­-Meetings und persönliche Treffen. So kann man von denen mit viel Erfahrung profitieren oder von den Newbies lernen, die innovativer oder mit einem ganz anderen Blick rangehen. Die verschiedenen Erfahrungsstufen zu nutzen um besser zu werden ist ein riesiger Mehrwert.
Dann gibt es noch die Bühne nach außen, die wird unterschiedlich genutzt. Entwe­der man nutzt das Zukunftsweine-Siegel und bindet es in sein Design ein oder verwendet das komplette Zukunftsweine-Design. Die Rückmeldungen zeigen uns: Wir haben eine sehr attraktive Marke geschaffen. Neue Kommunikationsformen wie QR-Codes zu Verkostungsvideos stützen die Marke. Die interne Plattform, das Netzwerk, die innovative Ansprache, das gemeinsame Sprachrohr und die offene Kommunikation nach draußen – das sind die Vorteile.
Was braucht die Branche, damit Piwis bekannter und erfolgreicher werden?
Vollmer: Die Branche braucht Vertrauen in die Sorten und Mut zu pflanzen. Aber auch eine bewusst konstruktive Sprache, vernünftige Argumente um das Neue einzuführen und zwar mit Nachdruck. Zeit bleibt uns nicht mehr viel, auch durch gesetzliche Rahmenbedingungen. Jeder sagt: „Der Green Deal, so kann er nicht kommen.“ Aber was bieten die Winzer an, um dem zu begegnen? Die Branche muss nachhaltige Lösungen aufzeigen. Denn un­ser Lebensraum, unsere Wirkungsstätte ist der Weinberg und wir haben mit den neuen Sorten großartige Stellhebel: Es ist ja ein Rattenschwanz: CO2, Wasser, Boden, Artenvielfalt – das ist alles mit dem Pflanzenschutz verknüpft. Von 100 % zu 20 % oder 30 %, je nachdem wie das Jahr läuft. Es braucht die klaren Argumente. Wir dürfen nicht nur darüber reden, sondern wir müssen es tun.
Warum tragen manche Weine Namen wie „Rebvoluzzer“ oder „Rebellin“? Wäre es nicht für die neuen Sorten vorteilhafter, diese mit ihrem Rebsortennamen bekannt zu machen?
Vollmer: Es gibt zwei Wege und das ist auch gut so. Das Thema Cuvée ist eins, was dem deutschen Weinbau unendliche Chancen gibt und an Akzeptanz steigt. Die Rebsorte ist in Deutschland ein Heiligtum und bei den Zukunftsreben muss man über die Zeit die Palette der Kernsorten herausfinden. Der Souviginier gris zum Beispiel ist für mich eine Sorte, die ist perfekt. Sie kristallisiert sich als potenzielle Topsorte heraus. Wenn wir aber jetzt versuchen uns mit 30 verschiedenen Sorten zu profilieren, dann endet das Ganze im Chaos. Der Kunde wird überfordert.
In der traditionellen Weinwelt setzt man hier und da auf Herkunft. Das ist auch für die Zukunftsreben eine große Chance. Häufig sind die Piwis nicht in den Toplagen gelandet, damit konnten sie sich nicht profilieren. Die können auch Premium, aber man muss sich kümmern und die Lagen nutzen. Mut haben. Das sind die Chancen. Da wollten wir uns nicht etwas verbauen mit diesem Sortengeklammer, was wir häufig gerne machen.

Derzeit läuft die Crowdfunding-Kampagne über Startnext und Sie haben schon über 37.000 € für das Projekt gesammelt. Was haben Sie mit dem Geld vor?
Vollmer: Ganz wichtig ist viel mehr Kommunikation auf allen Ebenen, zum Beispiel Promotouren. Kunden und Händler sollen besser verstehen, wofür Zukunftsweine stehen. Die ersten Erfahrungen zeigen: Die Botschaft und die Weine kommen an. Mitglieder können das Zukunftsweine-Design inklusive QR-Code zum Verkostungsvideo für einen kleinen Abschlag pro Flasche nutzen oder das Siegel in das eigene Design einbinden. Darüber hinaus stehen nächstes Jahr Messen an und es braucht einen Onlineshop. Die Vermarktungsstrukturen müssten besser werden, sodass die Kunden fragen: „Oh, das ist lecker und nachhaltig, wo bekomme ich das her?“ Wir wollen in die Städte gehen, laut und bekannt werden und auf die Bühnen gehen. Es gibt ja so viele Bühnen außerhalb der alteinhergebrachten Winzerbubble, die noch nicht bespielt werden. Die für den Weinbau noch unbekannten Kommunikationsebenen sind spannend – für alles reicht das Geld aber nicht. Da wir uns in dem dringlichsten Thema unserer Zeit bewegen, sind auch Fördertöpfe attraktiv.
Aber eines ist mir auch wichtig: Zukunftsweine hat nicht das Recht gepachtet, die eine Lösung zu sein. Es ist ein riesiger Baustein der Lösung. Darüber hinaus gibt es natürlich noch andere Bausteine wie Energie, CO2 der Böden und so weiter. Es sind die zwei, drei Bausteine, die übereinander getürmt einen großen Impact haben. Und das ist eine 30- bis 40-jährige Folge von Ereignissen, die man mit der Pflanzung hervorruft. Da bearbeite ich die nächste Generation schon mit und die Frage ist: Was haben die dann für Reben stehen?
Sie haben gerade die kleinen Bausteine angesprochen. Ist beispielsweise auch ein Mehrwegsystem für Weinflaschen angedacht?
Vollmer: Es ist wenig hilfreich, wenn eine Bewegung sich verzettelt und zu viele Aufgaben gleichzeitig angeht. Leichtglas ist ein Thema, aber das sollte es bei jedem Winzer sein. Wir fokussieren die Pflanzung, da haben wir genug zu tun. Wir feiern aber natürlich jede Tat, die nachhaltig ist. Deshalb ist Zukunftsweine auch eine offene Bewegung, die die Reben als Basis sieht, aber auch andere Initiativen begrüßt, die zum Ziel eines nachhaltigeren Weinbaus beitragen. Wir freuen uns über alle Aktivitäten und gehen gerne Partnerschaften ein.
Arbeiten Sie auch mit anderen Piwi-Gruppierungen zusammen?
Vollmer: Wir haben gemeinsam mit Piwi Deutschland und Piwi International einen Stammtisch ins Leben gerufen und arbeiten eng zusammen. Zukunftsweine ist keine Gegen-, sondern eine Mitbewegung. Denn auf breiterer Ebene können wir alle mehr lernen und mit geballter Stimme vorgehen bringt total viel.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Vollmer: Vor kurzem haben wir den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design gewonnen, worüber wir uns riesig freuen. Das ist Europas renommiertester Preis für Nachhaltigkeit, der uns bekannter werden und neue Kontakte knüpfen lässt. Außerdem öffnen wir den Winzerinnen und Winzern weiter alle Türen, mehr Zukunftsreben zu pflanzen und Teil der Bewegung zu werden. Sie sind das Rückgrat der Bewegung. Natürlich ist das noch viel Arbeit. Wir möchten zum Beispiel mit den Mitgliedsbetrieben zukünftig enger zusammen an konkreten Plänen und Ideen arbeiten. Alle Mitgliedsbetriebe sollen sich einbringen, um die Bewegung vor­anzutreiben. Hierzu gibt es regelmäßige Workshops. Um diese vielen Aufgaben zu schaffen, haben wir unser Kerngründungsteam aus sechs Frauen und Männern mit unterschiedlichen Kompetenzen. Dort werden die Fäden zusammengehalten.
Was aber auch noch wichtig ist: in der Branche mehr Bewusstsein zu schaffen. Wann, wie und wo habe ich als Winzerin oder Winzer überhaupt die Chance, die Sorten zu probieren, um mich dafür zu entscheiden? Wenn ich will, dass mein Kind musikalisch wird, dann muss es in der Grundschule mal Blockflöte gespielt ha­ben. Wir wünschen uns, dass die Weine sowohl in den Sensorikklassen der Weinbauschulen verkostet werden, bei den Produzenten, den zukünftigen Winzern, als auch in den Sommelierschulen. Um das Thema früh genug anzugehen, bevor man schon wieder einfach Riesling oder Grauburgunder gepflanzt hat. Damit man sich über zukünftige Märkte Gedanken macht und den Geschmack an sich heranlässt. Das geht eben nur durch „learning by drinking“, dass du ganz früh in deiner Ausbildung die Möglichkeit hast, so etwas zu probieren.
Isabell Spieß