Bäume stärken Reben – bei gleicher Weinqualität

Uni Hohenheim erforscht Baumpflanzungen

Foto: Jakob Hörl
Der gleichzeitige Anbau von Reben und Bäumen in sogenannten Vitiforstsystemen kann, laut Universität Hohenheim, die Wasserversorgung und Nährstoffverfügbarkeit für die Reben verbessern – ohne Qualitätsveränderungen beim Wein. Zu diesem erstaunlichen Ergebnis kommt ein interdisziplinäres For­schungsprojekt der Universitäten Hohenheim und Freiburg. Vitiforst fördert die Biodiversität und verspricht mehr Klimaresilienz im Weinbau.
Reben im Schatten von Bäumen, sogenannte Vitiforstsysteme, können die Wasserversorgung und Nährstoffverfügbarkeit für die Reben deutlich verbessern – ohne Veränderung der Weinqualität. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart und der Universität Freiburg in Zusammenarbeit mit mehreren Winzerfamilien in Ayl (Rheinland-­Pfalz). Seit 2007 untersucht das Team im Projekt „Arbustum“ auf einer rund 0,5 Hektar großen Versuchsfläche die Wechselwirkungen zwischen Reben und Bäumen – mit vielversprechenden Resultaten. Doch noch fehlen weitere grundlegende Kenntnisse.
Das Projekt „VitiForst – Gehölze im Weinbau zur Steigerung von Klimaschutz und Biodiversität“ will dieses Konzept wissenschaftlich bewerten und auf seine Praxistauglichkeit in deutschen Weinbaugebieten prüfen. Ausgewählt wurden das Remstal und der Kaiserstuhl. Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg fördert das Projekt mit rund 600.000 Euro, wovon 370.000 Euro auf die Uni Hohenheim entfallen.
Agroforstsysteme kombinieren den Anbau von Kulturpflanzen mit Bäumen oder Sträuchern, um den Weinbau zukunftsfähig und klima­resilienter zu gestalten. „Schon die Römer nutzten Bäume als natürliche Rankhilfen für Reben. In Südeuropa finden sich Vitiforstsysteme mit Walnuss- und Olivenbäumen und Reben“, so Prof. Dr. Christian Zörb vom Fachgebiet Quali­tät pflanzlicher Erzeugnisse und Weinbau der Uni Hohenheim. Bisher ist wenig über die Wechselwirkungen zwischen Bäumen und Reben bekannt. Bäume können eine physische Barriere für Unkräuter und Insekten bilden, das Mikroklima verändern, die Artenvielfalt erhöhen, die Bodenfruchtbarkeit steigern und sogar die Luft- und Wasserqualität verbessern. Andererseits konkurrieren Bäume um Licht, Raum, Nährstoffe oder Wasser.
Langzeitversuch „Arbustum“
Seit 2007 untersuchen Forschende der Universitäten Hohenheim und Freiburg in der Weinbaugemeinde Ayl (Landkreis Trier-Saarburg) auf einer 0,5 Hektar großen Versuchsfläche, wie sich der kombinierte Anbau von Reben und Bäumen auf den Wasserhaushalt, die Stickstoffversorgung und die Weinqualität auswirkt. Winzer aus Ayl kümmern sich um die Reben, das örtliche Forstamt übernimmt den Baumschnitt.
Im Mittelpunkt stehen die Rebsorten Riesling und Sauvignon blanc, die sowohl allein als auch kombiniert mit Eichen oder Pappeln kultiviert werden. „Während Eichen als genügsam und langsam wachsend gelten, benötigen Pappeln mehr Wasser und Nährstoffe und wachsen schnell – ideale Bedingungen für einen direkten Vergleich“, sagt Jakob Hörl, Koordinator des Projekts.
Bessere Wasser- und Stickstoffversorgung
Überraschenderweise konnten die Forschenden keine Konkurrenz von Bäumen und Reben um Wasser beobachten. Im Gegenteil: Den Reben steht, selbst in Trockenperioden, mehr Wasser zur Verfügung. Besonders Riesling profitierte in den Mischkulturen von der verbesserten Wasserversorgung.
Dies führen die Forschenden auf ein Phänomen zurück, das als „hydraulischer Lift“ bezeichnet wird. „Dabei transportieren die Bäume Wasser und Nährstoffe aus tieferen Bodenschichten nach oben und machen sie für die flachen Seitenwurzeln der Reben verfügbar“, so Jakob Hörl. Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen beiden Baumarten. Gleichzeitig stand den Reben in den Mischsystemen rund 20 % mehr Stickstoff zur Verfügung, der mit dem Wasser in höhere Bodenschichten transportiert wird.
Stickstoff ist ein wichtiger Nährstoff und für die Entwicklung der Rebe und der Trauben von enormer Bedeutung. Darüber hinaus beeinflusst er die Bildung wichtiger Aromakomponenten und die damit verbundene Qualität von Most und Wein. Auch im Bodenleben der Rebfläche beobachteten die Forschenden Veränderungen: Eichen förderten die mikro­bielle Vielfalt. Im Zusammenspiel mit Pappeln bildeten sich hochspezialisierte mikrobielle Gemeinschaften, deren langfristige Wirkung auf Ertrag und Rebengesundheit noch unklar ist.
Die gemeinsame Kultivierung von Reben und Bäumen erhöht nicht nur die mikrobielle Vielfalt, sondern verändert auch die Wurzelmetabolite der Reben, also die chemischen Verbindungen, die die Pflanzen über die Wurzeln ausscheiden. Vor allem in Kombination mit Eichen war dies deutlich ausgeprägt.
Diese Veränderungen sind offenbar Teil eines Wurzel-­zu-Wurzel-Kommunikationsprozesses mit den benachbarten Bäumen: „Vitiforstsysteme fördern die Bodenbiodiversität und ermöglichen eine Form pflanzlicher Kommuni­ka­tion, die über Wurzelausscheidungen funktioniert“, sagt Prof. Dr. Zörb. Durch derartig synergistische Effekte lässt sich die Widerstandsfähigkeit des Produktionssystems steigern.“
Keine Qualitätsveränderung beim Wein
Um der Frage nachzugehen, ob dies alles Einfluss auf den Geschmack des Weins hat, ernteten die Winzer aus jedem Anbausystem (reiner Reben- und Mischanbau mit Eiche oder Pappel) die Trauben beider Sorten separat und bauten sie getrennt aus. So entstanden sechs Weine, die sensorisch bewertet wurden. Die sensorischen sowie chemischen Analysen zeigten, dass es zwar kleine Unterschiede im Zucker- und Säuregehalt der Weine gab, diese jedoch nicht signifikant oder qualitätsmindernd waren. Die sensorische Qualität blieb erhalten. „Eine wichtige Rolle spielt vermutlich die Beschattung“, meint Jakob Hörl. „Es reduziert sich das Sonnenbrandrisiko der Trauben und die Lese verschiebt sich dank der Reifeverzögerung weiter in den Herbst. Viele Aromastoffe im Wein profitieren vom Wechsel zwischen kalten Nächten und warmen Tagen.“
Vitiforst – Chance für nachhaltigen Weinbau?
Die Ergebnisse aus dem langjährigen Pilotversuch zeigen, dass Agroforstsysteme eine Alternative bieten, denn sie schonen Ressourcen und fördern die Biodiversität. „Sie stabilisieren den Wasserhaushalt, verbessern die Nährstoffversorgung, schützen vor Extremwetter und erhalten die Wein­qualität – ein überzeugendes Konzept in Zeiten des Klimawandels“, so Jakob Hörl.
Zudem eröffnet sich ein neues Marketingpotenzial: Verbraucher wünschen nachhaltige, klimafreundlich erzeugte Produkte. Wein aus einem Agroforstsystem könnte diesen Wunsch erfüllen und zum Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal werden. Das For­schungs­team weist darauf hin, dass der erhöhte Pflegeaufwand und zusätzliche Kosten bei der Umsetzung eines solchen Systems nicht unterschätzt werden dürfen. Gute Planung, standortgerechte Sortenwahl und gezieltes Marketing sind entscheidend für den Erfolg.
Wichtig für das Gelingen eines Vitiforstsystems ist ein gutes Zusammenspiel aus passenden Baumarten und Rebsorten, die Anordnung der Gehölze im Weinberg sowie die Eingliederung in betriebliche Abläufe. „Die Wechselwirkungen sind komplex und hängen von den standortspezifischen Bedingungen und der Bewirtschaftung ab“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Zörb.
„Insbesondere für den Ökoweinbau ist die Integration von Gehölzen ein wichtiger Baustein. Außer dem Versuch in Ayl gibt es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Effekten und Potenzialen von Vitiforstsystemen in Mitteleuropa. Diese Wissenslücken sollen mit dem Projekt „VitiForst“ geschlossen werden.
In der ersten Projektphase konnten die Forschenden bereits Potenziale und Herausforderungen für den Öko-Weinbau in Baden-Württemberg ermitteln. Eine begleitende Befragung offenbarte ein unerwartet hohes Interesse, solche Systeme zukünftig in der Praxis einzusetzen.
Neue Versuchsflächen in Fokusregionen
In der zweiten Phase werden an den beiden Landesanstalten für Weinbau in Baden-Württemberg, dem Staatliche Weinbauinstitut Freiburg (WBI) und der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO) neue Versuchsflächen angelegt. Auf Grundlage der in Ayl gewonnenen Erkenntnisse beschäftigen sich die Projektbeteiligten dort mit weiterführenden Fragestellungen.
Zudem untersuchen die Forschenden im Remstal und am Kaiserstuhl Effekte der bestehenden Gehölzstrukturen, wie Hecken, Böschungen oder Einzelbäume und unterstützen Betriebe beim Aufbau solcher Systeme. Ziel der Projektbeteiligten ist es, das vielversprechende Anbausystem weiterzuentwickeln und die nachweislich positiven physiolo­gischen und ökologischen Wechselwirkungen im Weinbau nutzbar zu machen.
Neben der Universität Hohenheim und der Universität Freiburg sind die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) sowie das Staatliche Weinbauinstitut Freiburg (WBI) und die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO Weinsberg) am Projekt beteiligt.
Vitiforst steigert Klimaschutz und Biodiversität
Ziel des Forschungsprojekts „VitiForst“ ist es, Wechselwirkungen von Gehölzen im Öko-Weinbau in Baden-Württemberg interdisziplinär zu erforschen sowie ihr Potenzial für Klimaschutz und Biodiversität zu erfassen. Hierzu werden jeweils zwei langjährige Versuchsflächen an den beiden Landesforschungsanstalten für Weinbau (WBI Freiburg, LVWO Weinsberg) angelegt und der Praxistransfer exemplarisch in zwei Fokusregionen im Remstal und am Kaiserstuhl untersucht.
Dabei arbeiten Forschung und Praxis eng zusammen. Die Kooperation mit Öko-Winzern und weiteren regionalen Akteuren ermöglicht eine enge Verzahnung mit der Praxis und fördert den direkten Wissens­transfer. Die Projektflächen sollen nicht nur für die Forschung, sondern dauerhaft als Demonstrations- und Bildungsstandorte dienen, etwa für Praxistage, Exkursionen oder Schulungen – und so dem Praxis­transfer dienen. red